E-Mails, Browser und das World Wide Web waren Anfang der 1990er Jahre noch Fachbegriffe. Mit der Kommerzialisierung des Internets wurde die neue Technologie einer breiteren Masse bekannt. Auf Youtube gibt es eine Sammlung von Videos, in denen den Fernsehzuschauern das Internet in der Frühphase erklärt wird.
Die Videos stellt Andy Bajo, Blogger und Internetunternehmer, auf dem Youtube Channel The VHS-Era Internet zusammen. Heute wirkt diese, zwischen markig (“Information Highway”) und umständlich („You need a Computer to get access to the Internet“) schwankenden Frühform des Erklärvideos seltsam anrührend. Sie geben einen Eindruck, wie schnell sich das Internet in gerade einmal zwanzig Jahren gewandelt hat. Was vor zwanzig Jahren erklärungsbedürftig war, ist heute selbstverständlich. Die Struktur und die Organisation des Internets vor zwanzig Jahren zeigen noch sehr deutlich, wie stark sich das Medium damals an den alten, bekannten Wissensformaten orientierte und heute zu einem Medium eigener Art geworden ist.
Zunächst fällt in den Videos natürlich der enorme technische Aufwand auf, der nötig war, um überhaupt eine Verbindung zum Internet herzustellen. Der Computer ist auch Mitte der 1990er noch kein selbstverständliches Bürogerät, und in dem Video wird sehr ausführlich erklärt, wie die Verbindung zum Internet hergestellt wird. Neben dem recht beachtlichen technischen Know-How, über das frühe Internetnutzer verfügen mussten, fällt die starke Analogie auf, die zwischen dem Internet und Büchern oder Nachschlagewerken gezogen wird. Das Internet ist zu dieser Zeit ganz klar ein Textmedium, eine Internetseite wird mit einem Buch verglichen und die Unterseiten sind die einzelnen Kapitel des Buches. Das Suchen im Internet orientiert sich am Durchblättern eines Verzeichnisses oder eines Nachschlagewerks, die frühen Internetanbieter wie AOL boten eine Startseite mit Schlagworten und Unterkategorien, mit denen man das Internet dann wie eine Enzyklopädie durchsuchen konnte.
Die Internetseiten in der Frühphase sind tatsächlich in erster Linie Texte, die Bilder und Hyperlinks enthalten. Sehr deutlich wird diese Textform des frühen Internets an den Beispielen der Internetshops in dem obigen Video. Nach einer Suche landete man bei einer schlichten Liste mit Produkten die als Links dargestellt wurden, erst ein weiterer Klick öffnet dann Bilder, die zudem nicht in den Text eingebunden sind, sondern sich als eigene Fenster über dem Text öffnen. Mit diesem Rückblick fällt mir erst richtig auf, wie stark visuell das Internet heute ausgerichtet ist. Statt Textlinks gibt es heute häufig grafische Schaltflächen, Bilder und natürlich Videos spielen eine sehr viel größere Rolle und werden viel stärker in den Text integriert.
Wissen im Internet – Damals und heute
Die Unterschiede liegen aber auch auf der Ebene der Wissensorganisation. In dem Video aus dem Jahr 1995 wird das Wissen noch ganz klassisch hierarchisch strukturiert. Es gibt eine Verzeichnisstruktur und wir kommen, wie in einem Lexikon eben, von Ebene zu Ebene, von den allgemeinen Informationen zu den spezifischen. Man kann das Verfahren schön sehen, wenn in dem Video Reiseangebote durchgeblättert werden, zunächst die Kategorie „Reisen“, dann die Region und dann zu den konkreten Orten, zu denen die Reise gehen soll. Also die Nutzung des Internets geht von der bekannten Enzyklopädie aus, in der man sich die Informationen sucht. Die Suchfunktion wird nur am Rande erwähnt und dann als etwas, das eher für „Fortgeschrittene“ interessant ist. Heute ist das Wissen im Internet sehr viel vernetzter organisiert. Bilder, Texte und Videos stehen gleichrangig neben Textpassagen. Vor allem gibt es bei heutigen Seiten eine Mischung aus verschiedenen Inhalten, neben Text gibt Kommentaren, eingebettete Videos, Grafiken und weiterführende Informationen. Auch der Grad der gegenseitigen Vernetzung scheint heute viel stärker zu sein. Man denke nur an eine Seite wie Amazon oder Facebook.
Ich möchte Ihnen natürlich den deutschen Blick auf das Internet in den 90ern nicht vorenthalten! Im Morgenmagazin 1996 wird den Zuschauern „dieses Internet“ erklärt, das jetzt in aller Munde ist. Auch hier fällt die Analogie zu den etablierten Medien auf. Das Internet wird als Kommunikationsform dargestellt, ähnlich wie das Telefon, E-Mails sind natürlich elektronische Briefe und die Webseiten im World Wide Web elektronische Zeitschriften, mit Informationen über Fernsehen, Filme oder Sport. Also auch diese Darstellung orientiert sich noch stark an den bekannten Wissens- und Unterhaltungsformen. Nicht nur das ist heute anders, zum Schmunzeln sind auch sicher die Krawatten und unförmigen Anzüge – in einem Morgenmagazin.