Andre Wilkens hat ein kluges und unterhaltsames Buch geschrieben: „Analog ist das neue Bio“. Die Hypothese: „So wie Bio eine Antwort auf die industrielle Massenproduktion von Lebensmitteln ist und diese nun beeinflusst, kann Analog eine Antwort auf die industrielle Massenproduktion und Verarbeitung von Daten sein“. Was ist dran an seiner Hypothese?
Viele Menschen fühlen sich angesichts der digitalen Revolution überfordert: Sie klagen über fehlende Konzentration und Aufmerksamkeit und empfinden die Entwicklung von digitalen Technologien als häufig zu schnell. Das gilt ganz besonders für Menschen, die nicht digital aufgewachsen sind. Und dann wäre da noch die Masse an Daten, die täglich verarbeitet wird.
Der Gedanke von Andre Wilkens – seines Zeichen Politikwissenschaftler, der über viele Jahre unter anderem in Brüssel und in London gelebt hat – ist also gar nicht so abwegig: Was wir brauchen ist ein achtsamerer Umgang mit digitalen Technologien, wohldosierter, mit mehr Einschränkungen versehen, weniger konsumorientiert, qualitativer.
In seinem Buch erkundet Wilkens die Bedeutung des Analogen im digitalen Zeitalter. Seine Erkundungsreise beginnt in einer Videothek in Berlin und hört mit einem Manifest für ein „humaneres Leben“ in der digitalen Welt auf.
Während der Lektüre seines Buches habe ich mir vor allem überlegt, wo der Zusammenhang zum Lernen besteht: Wie werden wir zukünftig lernen, wenn die Digitalisierung gesellschaftlich betrachtet einen immer höheren Stellenwert einnimmt, und was hat das mit dem Analogen zu tun?
Die Bedeutung des Anlogen für das Lernen
Analog, so mein persönlicher Eindruck, ist die Blaupause des Digitalen. Unser Gehirn durchdringt Zusammenhänge auf eine andere Art, wenn wir vor dem Eintritt ins Digitale gelernt haben, vorerst auf das Digitale zu verzichten. Wenn ich lerne zu rechnen, rechne ich zunächst im Kopf auf einem Blatt Papier mit einem Stift in der Hand. Und bevor ein Film mit digitalen Mitteln auf der Leinwand auftaucht, zeichnet ein Illustrator das Storyboard dazu. Auch Unternehmer im Silicon Valley haben dieses Prinzip erkannt – das Wechselspiel zwischen Analog und Digital. So schreibt Andre Wilkens in seinem Buch „Analog ist das neue Bio“: „Im Silicon Valley boomen die Waldorfschulen. Die Kinder der digitalen Elite lernen dort ohne Bildschirme, aber mit viel physischer und menschlicher Interaktion, handwerkliches Arbeiten, durch Basteln“. Und selbst bei Steve Jobs waren die iPods zu Hause verboten.
Es ist also ein Trugschluss, zu glauben, dass das Analoge mit dem Digitalen schon sehr bald verschwinden wird. Es geht stattdessen darum, die Logik unserer Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen und Zeichnen mental zu verinnerlichen, bevor die Digitalisierung eintritt. Der Begriff des „Be-Greifens“ bringt die sen Sachverhalt auf den Punkt: „Stein auf Stein, das Häuschen wird bald fertig sein“ lernt sich besser, wenn man dabei die Fäuste wiederholt übereinander kreuzt. Haptik und Erinnerung bilden bei der menschlichen Gedächtnisbildung somit eine Symbiose.
Schon Friedrich Nietzsche wusste, dass das Schreibwerkzeug an unseren Gedanken mitschreibt. Wenn ich meine Woche plane, nehme ich zunächst ein Blatt Papier und verzeichne dort alle Aktivitäten mit farblich markierten Zetteln. Dasselbe mache ich mit Präsentationen. Ich nutze eine Storyboard-Vorlage und zeichne in diese Vorlage die wichtigsten Bildeinstellungen, die erst später digitalisiert werden. Auf diese Weise übe ich mich permanent im „Be-Greifen“, wechsle aber auch die Schreibwerkzeuge, um genügend Abstand und Reflexionsraum zwischen den Medien zu schaffen. Analog und Digital. Stift und Tastatur. Oder Stift und Touchpad.
Aufruf zur Konzentration
Ein anderes überzeugendes Beispiel für die Bedeutung des Analogen im Digitalen kommt direkt aus dem Buch von Wilkens.
Auf einem Konzert der britischen Indie-Band Coldplay. Tausende von Menschen filmen und fotografierten mal wieder den Auftritt der Band, als sie live spielte. Aber keiner von diesen Menschen konzentrierte sich wirklich auf die Musik. Das fand insbesondere der Frontman der Band – Chris Martin – ganz verrückt. Also forderte er ein Heer von YouTubern auf, ihre Smartphones wegzustecken und das nächste Lied nicht gleich hochzuladen. „Let this just be between us.“
Die Leute taten es, und konnten so zumindest einen Song lang wirklich konzentriert zuhören. Für mich steht dieses Beispiel gleichsam für Kontemplation: Ich sorge mental für weniger Ablenkung und konzentriere mich auf das eigentliche Ereignis, die Musik, die mein Hirn positiv stimuliert.
Das Buch „Analog ist das neue Bio“ von Andre Wilkens ist 2015 im Metrolit Verlag erschienen. Hier der Link zu unserer Buch-Empfehlung.