New Work ‒ Selbstmanagement ‒ Digital Workflow : Beiträge von 2012 bis 2015
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Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Speed. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit – von Florian Opitz – Deutschland 2012

Der Dokumentarfilm „Speed. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ handelt von einem inzwischen weit verbreiteten Phänomen. Wir scheinen immer schneller zu leben, immer mehr Menschen erfahren ihre Lebenszeit als rastlos und getrieben von verschiedenen Anforderungen. Wieso kommt es zu dieser Wahrnehmung, und wer ist eigentlich verantwortlich für die Beschleunigung unseres Alltags?

Der Regisseur Florian Opitz geht dieser Frage zunächst als Recherche in eigener Sache nach. Auch er erlebt seinen Alltag als gehetzt und stellt an sich selbst die Unfähigkeit zum Abschalten fest. Als Dokumentarfilmer reist er von Termin zu Termin und ist selten für seine Familien, seinen Sohn und seine Freunde da. Die ersten Stationen auf der Suche nach der verlorenen Zeit führen ihn also zu Experten im Umgang mit unseren Anforderungen in der Gegenwart: Er nimmt an einem Zeitmanagementseminar von

Woher kommt die Beschleunigung unserer Umwelt? Florian Opitz begibt sich auf die Suche nach Ursachen.

Lothar Seiwert teil und geht zu einem Burnoutcoach. Eine Antwort auf die Frage nach der Beschleunigung unserer Umwelt geben diese Experten für Zeitmanagement allerdings nicht. Sie sind eher Spezialisten darin,  unsere Zeitnot zu verwalten. Eine reflektiertere Stimme unter den Zeitmanagementexperten ist in dem Film Karlheinz Geissler. Anstelle von Rezepten zur effizienten Arbeitsgestaltung sollten wir laut Geissler eher wieder lernen, mehr in unserem eigenen Rhythmus zu leben und durch Verzicht zu mehr Souveränität über unsere Zeit zu gelangen. Mehr Verzicht auf die vielen Möglichkeiten, die uns das moderne Leben bietet, und Konzentration auf wesentliche Ziele.

Die Beschleunigung: Antreiber und Getriebene

An dieser Stelle beginnt Opitz eine Recherche, die ihn in die Welt der Wirtschaft führt. In Interviews mit einer Unternehmensberaterin der Boston Consulting Group und mit Angestellten der Firma Reuters lernt Opitz, dass die Wirtschaft einen großen Anteil an der Beschleunigung unserer Lebenswelt hat. Die internationalen Wertpapiermärkte und wirtschaftlichen Verflechtungen sind dabei ein starker Antreiber der Beschleunigung. Wertpapiere werden heute zu einem großen Teil automatisch, mittels Computersystemen gehandelt, die Transaktionen laufen dabei im Sekunden- und sogar Milisekundentakt ab. Um an den Märkten erfolgreich zu sein, müssen international operierende Firmen heute sehr schnell handeln und reagieren und unterliegen deshalb einer starken Beschleunigung ihrer Aktivitäten. Diese Entwicklung wird im Film auch in Interviews mit dem Soziologen Hartmut Rosa reflektiert. Der Trend zur Beschleunigung ist, laut Rosa, seit längerer Zeit Bestandteil unserer westlichen Kultur.

Sind wir Gestalter oder Getriebene unserer Zeitkultur?

Die Beschleunigung der Zeit ist ein Phänomen, das seit der Industrialisierung auftritt und ein Merkmal moderner westlicher Gesellschaften. Die wichtigsten Antreiber sind dabei die wirtschaftliche und technologische Entwicklung der Industrienationen. Fraglich bleibt natürlich, was wir eigentlich wollen und welche gesellschaftlichen Möglichkeiten wir haben, um mit dieser Entwicklung umzugehen. Sollen wir uns einem gnadenlosen Zeitregime anpassen? Wo sind eigentlich die Alternativen zu unserer gehetzten Gegenwart? Und welche Entwicklung ist für unsere Gesellschaft eigentlich wünschenswert?

Aussteiger, Visionäre und Traditionalisten

Im letzten Teil des Films beschäftigt sich Opitz mit den Alternativen zur beschleunigten  Gesellschaft der westlichen Industrienationen. Dabei besucht er einen ehemaligen Investmentbanker, der heute einen Hof in den Alpen leitet. Eine weiter Stationen auf der Suche nach den Alternativen ist Patagonien, wo der Gründer von Esprit ein Zeitreservat einrichten möchte. Douglas Tomkins hat einen Teil des Landes aufgekauft, um es vor den Auswirkungen der Beschleunigung zu retten: Das Land wird in seinem Zeitreservat vollständig ohne Maschinen bewirtschaftet. Weiter führt uns der Film nach Bhutan, einem kleinen Himalayastaat, der durch seine alternative Entwicklungsstategie berühmt geworden ist. Der Staat verfolgt seit den 1970er Jahren eine alternative Wachstumsstrategie: Anstatt sich am Bruttoinlandsprodukt zu orientieren, wie die westlichen Staaten, verfolgt Bhutan das „Bruttonationalglück“ als

Auch in Bhutan ist die moderne Welt inzwischen angekommen. Der Himalayastaat verfolgt das Bruttonationalglück als Entwicklungsziel.

verfassungsmäßiges Staatsziel. Die Entwicklung nach dem Bruttonationalglück berücksichtigt neben dem wirtschaftlichen Wachstum auch den Umweltschutz, den Schutz von Traditionen und die geistige Gesundheit der Bewohner. Die Suche nach den Alternativen treibt Opitz dann wieder in die Alpen, zu Milchbauern, die eine vollkommen andere Einstellung zur Zeit haben. Dabei muss er feststellen, dass Entschleunigung eben nicht dasselbe wie Freizeit bedeuten muss. Die Arbeit in den Alpen beginnt um 05:00 Uhr mit dem Melken und ist erst am Abend zu Ende. Die größere Zufriedenheit der Bauern liegt anscheinend eher an ihrem Leben in einem regelmäßigen Rhythmus und einer stärkeren Verbundenheit mit der eigenen Arbeit.

So interessant diese Beispiele auch sind, sie sind gleichzeitig auch eine Schwäche des Films. Die Suche nach den Alternativen und Auswegen gerät Opitz zu einem paradoxerweise gehetzt wirkenden Sammelsurium an spektakulären Aufnahmen und Personen, die sich zum Teil für den vollkommenen Ausstieg entschlossen haben. Dabei bleibt die Frage offen, welche Zwischenwege es gibt, welche Wege zwischen einer gehetzten, getriebenen Arbeitswelt und dem totalem Ausstieg existieren?

FAZIT: Ein sehenswerter Film, der sehr gut die Ursachen für unseren heutige Zeitnotstand zeigt und herausarbeitet. Leider verliert der Film im zweiten Teil etwas den roten Faden, wenn es um die Alternativen zu einer beschleunigten Gesellschaft geht. Insgesamt lohnt sich der Besuch, da die Ursachen der Beschleunigung unserer Gesellschaft anschaulich gemacht werden.

Text: Michael Lindner

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