Pragmatismus, Realpolitik und das Denken in den bestehenden Kategorien scheinen typisch für unsere Zeit zu sein. Wir scheinen heute in einem postideologischen Zeitalter angekommen zu sein, in dem Utopien keine Rolle mehr spielen? Weit gefehlt! Utopien sind lebendiger als je zuvor, sie werden heute bloß von großen Internetkonzernen vertreten und sehen anders aus als die Utopien des 20. Jahrhundert.
Google ist schon lange kein reiner Suchmaschinenbetreiber mehr, sondern inzwischen auf vielen verschiedene Geschäftsfelder aktiv. Bekannter wurden die Ideen und Visionen Googles in den letzten Monaten, als die Umstrukturierung Googles zu Alphabet bekannt wurde. Mit diesem Schritt wird aus Google ein großer Konzern, der sehr verschiedenen Aktivitäten unter einem Dach vereint. In dem neuen Konzern gibt es neben der Suchmaschine etwa die inzwischen bekannten Projekte, wie ein selbstfahrendes Auto zu entwickeln oder das Projekt mit dem Ziel, das Internet weltweit zu verbreiten. Dazu hat Google einen Ballon entwickelt, mit dem auch an entlegenen Gebieten Internetzugang erhalten werden soll (Newgadgets: Google Wlan: Kostenlose Internet weltweit).
Weniger bekannt ist Googles Engagement in der Medizintechnik. Mit dem Unternehmen Calio untersucht Google in Zukunft den Alterungsprozess, mit dem Ziel, direkt auf das Altern einzuwirken. Anstatt verschiedene Krankheiten zu kurieren, so die Vision, soll es darum gehen, das Altern generell zu verlangsamen und damit “das Problem” an der Wurzel zu packen. Andere Bereiche haben wieder mehr mit der Techniksparte zu tun. In Google Alphabet finden sich ein Unternehmen, die Schutz gegen Hackerangriffe entwickeln, der Roboterhersteller Boston Dynamics, Deep Mind, eine Firma, die künstliche Intelligenz erforscht und eine Firma, die das Smart Home entwickelt und viele andere Dinge (Jonas Jansen, Das ist Googles Alphabet, FAZ, 11.08.2015).
Die Allmacht der Daten
Das Ganze wirkt wie ein klassischer Mischkonzern, der im Laufe seiner Entwicklung verschiedenste Unternehmen aufkauft und eine breite Palette von Produkten anbietet. Bei Google gestaltet sich das ein wenig anders, weil hinter Google eine Idee steckt, die in ihrem Kern auch ein utopisches Potential in sich birgt.
Hinter dem Datenhunger Googles steckt das Weltbild eines Ingenieurs. In einem seiner selten Interviews gibt Larry Page Einblick darin, was ihn antreibt und welche Idee hinter Google steckt. Das Interview ist ein interessanter Einblick in die Gedankenwelt des Silicon Valley und insbesondere der von Larry Page, einem der Gründer von Google. Datensammlung und Auswertung ist kein Selbstzweck für den Googlegründer, sondern eine schlichte Notwendigkeit im Fortschritt der Welt. Mehr Wissen aus Daten von Internetnutzern machen die Welt zu einem besseren Ort, die Nutzer bekommen bessere Ergebnisse und Dienste, die am Ende dazu führen, dass das Leben generell einfacher wird (Uwe Jean Heuser: Einer für Alles, Zeit, 26.05.2015). Auf diese schlichten Aussagen lässt sich die Idee hinter Google und der Datenhunger des Konzerns reduzieren.
Hinter dieser Idee steckt genau genommen eine technokratische Utopie, wie wir sie auch ähnlich aus dem 20. Jahrhundert kennen. Es geht im Grunde darum, dass wir mit mehr Informationen über das Verhalten und die Präferenzen von Menschen eine bessere Gesellschaft schaffen können. Der Unterschied ist heute, dass diese Vision von einem großen Konzern kommt, während im 20. Jahrhundert die technokratischen Ideen von Staaten umgesetzt wurden. Die Fortschrittsidee von Larry Page ist interessanterweise keine rein materialistische Idee, eines immer steigenden Profits oder Konsums.
Auf die Konsequenzen der Automatisierung angesprochen zeigt sich Page offen gegenüber Vorstellungen von alternativen Arbeitsformen und weniger Arbeit bei gleichem Lohn. Der Kern, der in antreibt, ist Effizienzdenken. Mangelnde Effizienz ist für Larry Pages das schlimmste Übel, er ist nicht so sehr von einer protestantischen Arbeitsethik angetrieben, wie das manchmal dem Silicon Valley nachgesagt wird. Hier kommen utopisches Denken, Unternehmertum und Computertechnik zusammen. Die Zukunftsvision von Google sind möglichst perfekt funktionierende Dienstleistungen und Produkte, die über Datenverarbeitung an die Bedürfnisse des Kunden angepasst sind.
Wer bestimmt über die Datennutzung?
Computertechnik hat sicher das Potential, Menschen freier und effizienter arbeiten zu lassen. Der spannende Punkt an dieser Zukunftsvision ist dann die Frage, ob die neue Technik wirklich zu mehr Selbstbestimmung und zu mehr Freiheit führt. Denn ein paternalistischer Zug bleibt bei den Beglückungsphantasien des Silicon Valleys bestehen, darin ähneln sie den Technokraten früherer Zeiten. Im Grunde bestimmt die Firma, wie die Daten verarbeitet werden und was gut für den Kunden ist, nicht so sehr der Verbraucher. Das war zumindest lange Zeit so, inzwischen gibt es gerade von Google einige zaghafte Schritte in eine andere Richtung. Mit dem neuen Dashboard bei Google ist es möglich, mehr Kontrolle über die eigenen Daten auszuüben (Spiegel Online: Datensammlung zum Nachschauen).
Auch das Recht auf Vergessen zeigt zumindest, dass etwas Bewusstsein für Datenschutzanliegen da sind. Welches positive Potential weitere Dienste von Google haben, die beispielsweise Gesundheitsdaten verarbeiten oder Verhaltensmuster sehr genau erfassen können, steht noch in den Sternen. Vielleicht gibt es auch hier ein Bedürfnis nach Vergessen oder dem Nicht-Wissen Wollen, das die Datenphantasien von Google unterläuft. Zumindest kann man heute schon sehen, dass die Auseinandersetzungen um den Datenschutz in Zukunft darüber geführt werden, wer Daten verarbeiten und löschen kann. Dabei werden individuelle Lösungen wichtiger, das Individuum wird in Zukunft mehr Entscheidungen fällen müssen, wie die eigenen Daten verarbeitet und verwendet werden.