New Work ‒ Selbstmanagement ‒ Digital Workflow : Beiträge von 2012 bis 2015
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Der kommende Kulturschock: Die Verflüssigung der Arbeit

1970 machte sich der Zukunftsforscher Alvin Toffler Gedanken über die Auswirkungen von Überstimulation durch die Umwelt. „Der Zukunftsschock ist die Reaktion auf Überstimulation“, schrieb er in „Der Zukunftsschock“. Bedingt durch den digitalen Wandel lässt sich erneut fragen: Sind wir individuell mit diesem Wandel überfordert? Worin besteht heute der Kulturschock?

Jede Kultur hat ihre Besonderheiten und ihre eigenen, für sie typischen Orientierungen. Als Alvin Toffler 1970 seine Prognosen in „Der Zukunftsschock“ formulierte, beschäftigte er sich insbesondere mit der Frage, wie Orientierungen in Kulturen durch Überstimulation zersetzt werden können. Wer beispielsweise das erste Mal für einige Wochen außerhalb von touristischen Zonen in China unterwegs ist, erlebt womöglich einen „Kulturschock“, weil die Verarbeitung von neuen Eindrücken zur Überstimulation führen kann. Aber wie sieht es mit dem Einfluss der Digitalisierung auf unsere Kultur aus – gibt es da auch einen Schock?

Toffler sprach 1970 zwar noch nicht von Überstimulation durch den Computer oder durch das Internet, jedoch nahm er einige Gedanken vorweg, die sich heute auf die Digitalisierung beziehen lassen. Toffler nannte beispielsweise den Kulturschock. Der Kulturschock, die tiefgreifende Desorientierung der Reisenden, geht davon aus, dass wir in einer fremden Kultur so viele neue Eindrücke aufnehmen, dass wir buchstäblich überfordert sind, überstimuliert von Reizen, die wir noch nicht verarbeitet haben. Nun können wir behaupten, dass auch die Digitalisierung, die vielen digitalen Geräte, die wir im Alltag benutzen (so wie im Titelbild angedeutet), zur Überstimulation führen. Wenn wir uns allerdings junge Menschen anschauen, die mit diesen Geräten großgeworden sind, mag uns das vielleicht als „Überstimulation“ erscheinen, jedoch gilt das nicht für die jungen Menschen selbst.

Aber wo greift dann der nächste Kulturschock? Mir wird das klarer, wenn ich unseren traditionellen Arbeitsbegriff auf diese Entwicklung beziehe: Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die Arbeit? Die protestantische Arbeitsethik ist gekennzeichnet durch die Vorstellung von Arbeit als Pflicht, die man nicht in Frage stellen darf. Die Arbeit bildet den Mittelpunkt des Lebens, um den herum Freizeit gestaltet wird. Diese Vorstellung von Arbeit wird heute durch den Einfluss der Digitalisierung verflüssigt. Es gibt in der Zukunft keine einheitliche Form der Arbeit mehr.

Die Kosten der Verflüssigung von Arbeit

Es gibt überhaupt keine Grenze mehr zwischen Arbeit und Freizeit. Da unsere Arbeit (ich rede hier von anspruchsvolleren Tätigkeiten; von Spezialisten und Wissensarbeitern) vielfach hochgradig kognitiv ausfällt bei gleichzeitiger Fragmentierung, sind wir immer mehr dazu aufgefordert, in den arbeitsfreien Zeiten für mentale Entlastung zu sorgen. Meine Hypothese dazu: Desto bruchstückhafter die Arbeit ausfällt und die ganze Kommunikation um die Arbeit herum, desto höher fallen auch die mentalen Kosten aus – das hängt für mich mit dem kommenden Kulturschock zusammen.

Alvin Toffler spricht ja in seinem Text „Der Zukunftsschock“ von der Gratwanderung zwischen Unter- und Überstimulation. Wenn wir permanent andere Tätigkeiten ausführen und unsere Arbeit hochgradig zersetzt wird, können wir von Überstimulation sprechen. Auf der anderen Seite brauchen Menschen gerade für anspruchsvollere Tätigkeiten eine gewisse Zeit, um sich wieder auf diese Tätigkeiten konzentrieren zu können. Die Folge daraus lautet, dass die mentalen Kosten weitaus höher ausfallen als wir aktuell vielfach annehmen. Während im Industriezeitalter die physischen Kosten der Arbeit hoch waren (etwa die Arbeit am Fließband), sind es heute die mentalen Kosten.

Nehmen wir ein Beispiel für diese Behauptung: die Plattform „clickworker“. Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Webdesigner, der seine Arbeit auf verschiedenen internationalen Plattformen wie „clickworker“ im Netz anbietet. Dieser Trend wird sich international in den kommenden Jahren noch weiter fortsetzen: die weitere Zersetzung von klassischer Arbeit im Sinne eines Jobs, der von montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr durchgeführt wird.

Im Journalismus und in der Kreativbranche hat sich dieser Trend bereits vielfach etabliert; wir finden hier immer weniger Festangestellte und immer mehr Freiberufler. Noch arbeiten die meisten Arbeitnehmer in Deutschland in festen Strukturen. In Zukunft werden die Arbeitszeiten aber auch in anderen Branchen noch flexibler; Journalismus und Kreativbranche sind hier nur die Vorreiter eines neuen Megatrends. Denn wir arbeiten heute anders. Viele körperlich belastende Produktionsschritte konnten durch Technik reduziert werden, zugleich haben psychische Belastungen zugenommen, besonders durch einen hohen Termin- und Leistungsdruck. Hinzu kommt immer mehr mobiles Arbeiten. Egal wo auf der Welt und wann: Es ist für immer mehr Beschäftigte möglich, überall und jederzeit zu arbeiten. Willkommen im hyperkognitiven Zeitalter!

Was Ihnen bereits als Trend klar sein dürfte, wird durch solche Plattformen wie „clickworker“ aber noch wesentlich mehr beschleunigt und fragmentarisiert. Ich kann mich gut daran erinnern, dass ich einige Studierenden während eines Seminars zusammen mit Michael Lindner fragte (das Seminar „Computerträume“ an der Universität Essen-Duisburg), wie sie diesen Trend beurteilen würden, und zwar die Vorstellung, ihre eigene Arbeit nunmehr ausschließlich über internationale Plattformen anzubieten und so als „clickworker“ zu agieren: Viele waren eher entsetzt von diesem Zukunftsszenario.

Ich finde diese Reaktion sehr erstaunlich, denn diese jungen Menschen haben an sich in den meisten Fällen überhaupt kein Problem mit digitaler Technologie. Sie empfinden das keineswegs als „Überstimulation“ – so wie das Toffler definiert hat. Aber mein – zugegeben bewusst zugespitztes und etwas einseitiges Bild von der Arbeit in der Zukunft – haben sie durchaus als Kulturschock empfunden.

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