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Warum Aufmerksamkeit zur knappen Ressource wird

Aufmerksamkeit wird unterschätzt und wir gehen häufig fahrlässig mit unserer Konzentrationsfähigkeit um. Vielen ist nicht bewusst, wie wichtig Aufmerksamkeit für ein gelingendes Berufsleben ist. Aber nicht nur digitale Technologien fordern unsere Konzentration heraus, es gibt verschiedene Faktoren, die Aufmerksamkeit erschweren.

Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren gewaltig geändert und damit auch die Art, wie produktives Arbeiten aussieht. Heute ist in der Arbeitswelt Aufmerksamkeit zu einer zentralen Ressource geworden. Produktivität hängt stark davon ab, wie Sie in der Lage sind, Ihre Aufmerksamkeit zu lenken und zu fokussieren, vor allem, wenn Sie jeden Tag viele Informationen verarbeiten müssen. Es zeigt sich immer wieder bei erfolgreichen Menschen, dass Sie in der Lage sind, sehr fokussiert zu arbeiten und sich vollständig einer Sache zu widmen.

Aufmerksamkeit im Belagerungszustand

Die Informationsvielfalt am Arbeitsplatz, viele Unterbrechungen sind die häufigsten Störungen von Aufmerksamkeit und können produktives Arbeiten verhindern. Das wurde schon vor fast 20 Jahren erkannt. Kevin Kelly, ein Visionär der Informationstechnik sieht in seinem Buch Rules for the New Economy bereits 1999, dass Aufmerksamkeit durch die Entwicklung von digitalen Geschäftsmodellen zu einer knappen Ressource wird. Wenn Unternehmen über das Internet ihre Produkte vertreiben, dann wird jeder Klick wertvoll. Mit mehr Menschen auf meiner Seite verkaufen sich mehr Produkte und das geht nur, wenn die Unternehmen gezielt die Aufmerksamkeit potentieller Kunden erregen. Es gibt also laut Kelly einen Kampf um Aufmerksamkeit und damit wird Aufmerksamkeit zum knappen Gut.

Die Folgen dieser Entwicklung können wir heute sehen. Der Technikjournalist Nicholas Carr beschrieb seine geringer werdende Aufmerksamkeitsspanne in dem Buch Wer bin ich, wenn ich online bin?. Auch in aktuellen Studien zeigt sich immer wieder, dass Aufmerksamkeit heute knapper wird und der Arbeitsalltag vieler Menschen von Unterbrechungen gekennzeichnet ist. Auch wenn die Aussage des plakative Times-Covers, nach der die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfisches inzwischen größer sei als die eines Smartphone-Users, sich sicher nicht halten lässt, gibt es heute viele Unterbrechungen im Arbeitsalltag, die als Problem empfunden werden. In einer deutschen Studie von Mind-Jet ist der Arbeitsalltag vieler Angestellter von Unterbrechungen und einer großen Informationsflut gekennzeichnet und das wird von Befragten als Problem empfunden.

Selektive Wahrnehmung

Aber nicht nur Informationstechnik kann ein Störfaktor für Aufmerksamkeit sein, es gibt auch andere Faktoren, die Aufmerksamkeit behindern. Ein erstaunliches Phänomen ist die sogenannte selektive Wahrnehmung, bei der eine Person derart auf ein Objekt ausgerichtet ist, dass andere Details nicht mehr wahrgenommen werden. Mit zwei berühmten Experimenten wurde dieses Phänomen demonstriert. Bei der Tür Studie fragt ein Versuchsleiter einen Passanten auf der Straße nach dem Weg. Während der Wegerklärung gehen zwei weitere Personen, die eine Tür tragen, zwischen Versuchsleiter und dem Passanten durch, dabei wird der Versuchsleiter durch einen der Türträger ausgetauscht. Der Passant erklärt also nach dem Manöver plötzlich einer anderen Person den Weg. Ungefähr 50% der Passanten, die an diesem Versuch teilnahmen, bemerkten den Austausch nicht.

Einen ganz ähnlichen Aufbau hat die Gorillastudie. In dieser Studie sehen die Probanden einen Film, in dem ein Feld mit Basketballspielern gezeigt wird. Ein Team trägt weiße, das andere schwarze Hemden. Die Probanden müssen nun die Pässe des weißen Teams zählen. Während der Film läuft, geht ein Mensch, der als Gorilla verkleidet ist über das Feld, posiert und verschwindet wieder in einem Ausgang. Die meisten Probanden haben zwar die Anzahl der Pässe richtig erkannt, den Gorilla aber nicht gesehen. In beiden Fällen sind die Probanden derart auf eine Aufgabe konzentriert, dass Sie sogar größere Veränderungen im visuellen Wahrnehmungsfeld nicht wahrnehmen. Aufmerksamkeit funktioniert in diesen Fällen wie eine Art von Scheinwerfer, sie beleuchtet ein Objekt, die Umgebung wird dabei ausgeblendet.

Aufmerksamkeit und der wandernde Geist

Eine andere Form von Aufmerksamkeitsstörung stellen innere Ablenkungen dar. Unser Geist ist selbst häufig unkonzentriert und die Aufmerksamkeit streunt gerne herum, vor allem, wenn sie gerade keine spannenden Aufgaben hat. Thomas Metzinger benennt dieses Phänomen in seinem Buch Der Ego-Tunnel als das Fehlen von “mentaler Autonomie”, also die Fähigkeit des Geistes, die Aufmerksamkeit zu lenken. Laut jüngsten Studien ist es mit dieser Fähigkeit nicht so weit her, ungefähr 40 bis 50% unserer bewussten Zeit sind wir, so Metzinger, geistig nicht anwesend oder in Gedanken verloren.

Der wandernde Geist ist ein Phänomen, das zu den Unterbrechungen hinzukommt. Im normalen Zustand haben wir anscheinend recht wenig Kontrolle darüber, wohin unsere Aufmerksamkeit geht. Häufig sind die “mentalen Wanderungen” alles andere als befriedigend. Eine wandernde Aufmerksamkeit kann zu weniger Produktivität führen, der wandernde Geist kann in Ängsten und Grübeln abgleiten. Eine jüngere Studie, mit dem Titel A wandering mind is an unhappy mind zeigt, dass Menschen in Grübelschleifen eher unglücklich gestimmt sind. Das scheint mir noch nicht das ganze Bild zu dem Thema zu sein, “mind wandering” ist wahrscheinlich genauso für kreative Prozesse und für den Aufbau einer Identität wichtig, auch das zeigen Forschungsbeiträge. Die Ergebnisse zu dem Thema sind bis jetzt noch recht widersprüchlich.

Ein fragiles Gut

Die beiden Beispiele zeigen recht gut, dass Aufmerksamkeit recht fragil ist. Es gibt anscheinend eine enge Aufmerksamkeit, wenn wir eine Aufgabe erledigen und fokussiert sind auf eine Aufgabe und eine eher weite Aufmerksamkeit. Beispielsweise hat man im Straßenverkehr oder in einem Gespräch einen eher offenen Fokus, wenn Sie einen Text schreiben wird Ihre Aufmerksamkeit fokussierter und analytischer.

Bei Aufmerksamkeit geht es um mehr als um Produktivität. Auch Lernen benötigt Aufmerksamkeit, genauso funktionieren Beziehungen oder Führung nur dann, wenn Sie ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit mitbringen. Dasselbe gilt, wenn Sie Ziele umsetzen, wichtige Entscheidungen fällen oder Gewohnheiten verändern. Sie profitieren in all diesen Fällen davon, wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren. Sie können nur dann etwas Neues lernen, wenn Sie sich immer wieder derselben Sache widmen, ganz egal, ob Sie eine Sprache lernen oder eine Sportart, Sie müssen immer wieder Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren Gegenstand richten, um etwas zu verinnerlichen. Es geht nicht darum, immer und überall voll konzentriert zu sein. Tagträume und abschweifende Gedanken sind anscheinend derart häufig, dass ein messerscharfer Fokus über den ganzen Tag unrealistisch ist ‒ und auch nicht wünschenswert. Ich finde es eher befreiend, sich klar zu machen, dass ein abschweifender Geist etwas ganz natürliches ist und es keinen Sinn hat, immer voll konzentriert zu sein.

Ein reflektierter Umgang mit Informationstechnik ist sicher wichtig, um die Aufmerksamkeit nicht unnötig zu zerstreuen. Auch wenn klassisches Zeitmanagement mit fest geplanten Arbeitsschritten heute etwas anachronistisch erscheint, ist es doch in einer modifizierten Variante sinnvoll. Viele Menschen arbeiten produktiver, wenn Sie bestimmte Zeiten am Tag ohne Unterbrechungen sich einem wichtigen Projekt widmen können. Manchmal reichen 30 bis 60 Minuten pro Tag, die bereits einen großen Unterschied machen.

Auch die Kontrolle von Nachrichten und ein strukturierter Umgang mit Informationstechnologie helfen dabei, die Aufmerksamkeit besser zu nutzen. Sie werden produktiver und entspannter arbeiten können, wenn Sie mehr Kontrolle darüber haben, womit Sie sich gedanklich beschäftigen und darüber, was gerade für Sie wichtig ist. Phasen der Ablenkung und schweifende Gedanken können dann Ihren Raum bekommen und vielleicht kreative Prozesse befördern oder einfach der Entspannung dienen.

Sich überhaupt der Qualität der eigenen Aufmerksamkeit bewusst zu werden, scheint mir ein wichtiger erster Schritt für eine Kultur der Aufmerksamkeit zu sein. Informationstechnik stellt dabei heute eine Herausforderung dar und wir stehen noch am Anfang, wie wir Konzentration und Vernetzung in Zukunft gut kombinieren können.

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