New Work ‒ Selbstmanagement ‒ Digital Workflow : Beiträge von 2012 bis 2015
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Und täglich grüßt die Datenflut

„Und täglich grüßt die Datenflut. Tipps und Techniken für mehr Effizienz und stressfreien Umgang mit Informationen“ – von Helgo Bretschneider – Bergisch Gladbach: Breuer & Wardin, 2011 – 226 S. – ISBN: 978-3939621768 – 18,80 €

Das Internet wird seit seiner Entstehung und Etablierung als Massenmedium immer wieder mit Metaphern beschrieben, die aus einem nautischen Kontext stammen. Wir „surfen“ seit den 1990er Jahren im Internet und die ersten Browser, der Internet Explorer und Netscape Navigator, führten Namen von Schiffen, mit denen man sich auf hohe See wagen konnten. Inzwischen ist das Internet allgegenwärtig und wir befürchten nun, die Menge an Informationen nicht mehr bewältigen zu können. Die passenden Metapher dafür ist die Datenflut, der wir täglich am Schreibtisch und unterwegs ausgesetzt sind.

Aufmerksamkeitsstörungen

Surfen auf der Welle von Informationan oder lieber Dämme einziehen gegen die Datenflut?

In seinem Buch „Und täglich grüßt die Datenflut“ versucht Helgo Bretschneider konkrete Techniken an die Hand zu geben, wie man effizienter und gelassener mit Emails und digitaler Kommunikation umgehen kann. Im ersten Kapitel führt er in die Entwicklung der Digitaltechnik der letzten Jahrzehnte ein. In den letzten 25 Jahren gab es ein Explosion von Informationen, die inzwischen zu einer täglichen Reizüberflutung führen. Unsere Arbeitstechniken und das klassisches Zeitmanagement sind dagegen Techniken des 20. Jahrhunderts und bieten wenig, um mit diesen Veränderungen umzugehen. Die Folge dieser Entwicklung sind Aufmerksamkeitsstörungen, Gereiztheit und Nervosität durch zu unbedachter Internetnutzung.

Die Aufmerksamkeitsstörung AD(H)S (Attention Deficit (Hyperactivity) Syndrom) wird zwar überwiegend bei Jugendlichen diagnostiziert, inzwischen gibt es auch Anzeichen dafür, dass massive Internetnutzung (unter gewissen Umständen) Störungen der Aufmerksamkeit und der Konzentrationsfähigkeit verursachen kann. Die Symptome beschreibt der Blogger Joe Wilcox auf seinem Blog Oddy Together.

Um effizienter und vor allem stressfreier mit Informationen umzugehen, empfiehlt Bretschneider vor allem die kognitiven Fähigkeiten weiter zu entwickeln. Nach der Einführung über Informationstechnik beschreibt er im Kapitel 3 wie man Multitasking trainieren kann, Kapitel 4 behandelt gehirngerechte Arbeitstechniken und das Kapitel 5 die Verbesserung der Lesegeschwindigkeit. Im sechsten Kapitel geht es um die Büro- und Computerorganisation, die Kapitel 7 und 8 behandeln Fragen der inneren Einstellung und zum Umgang mit Komplexität. Das 9. Kapitel schließt mit Entspannungstechniken, insgesamt liegt der Schwerpunkt des Buches auf kognitiven Techniken, organisatorische Fragen werden weniger ausführlich behandelt.

Arbeitsgedächtnis und Lesegeschwindigkeit

Damit setzt Bretschneider einen neuen Schwerpunkt für das Selbst- und Zeitmanagement, nämlich durch gezieltes Training kognitiver Fähigkeiten und der Veränderung der eigenen Einstellung Informationen besser bewältigen zu können. Zum einen ist es wichtig, die Aufmerksamkeit zu schulen und die Fähigkeit zur Informationsaufnahme und -verarbeitung. Multitasking lässt sich also – in Grenzen – trainieren und verbessern. Man kann durch Spiele, wie Schach oder Sudoku das Gehirn darin trainieren, mehr Informationen parallel aufzunehmen und schneller zwischen verschiedenen Informationen zu wechseln. Auch Computerspiele können sinnvoll sein, um die Fähigkeit zum Multitasking zu verbessern. Generell ist laut Bretschneider jedoch stressfreier, Aufgaben hintereinander zu erledigen. Auch eignen sich nicht alle Tätigkeiten zum Multitasking, man kann beispielsweise nicht gleichzeitig telefonieren und Autofahren ohne andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden, routiniert ablaufende Handlungen lassen sich aber durchaus kombinieren.

Um sinnvoll mit der Menge an Informationen umgehen zu können, brauchen wir kognitive Fähigkeiten um Informationen selektieren zu können.

Genauso lässt sich die Lesegeschwindigkeit verbessern und damit die Fähigkeit, Informationen aufzunehmen. Dazu beschreibt Bretschneider Techniken, die hilfreich für flüssiges Lesen sind. Der Schlüssel ist dabei, überfliegendes Lesen zu trainieren und die Lesegeschwindigkeit durch Übungen zu erhöhen. Damit lassen sich sehr effektiv mehr Informationen erfassen und verarbeiten. Das Arbeitsgedächtnis ist ein weiterer Engpass bei der Informationsverarbeitung. Informationsüberflutung findet, laut Bretscheider, dann statt, wenn unser Arbeitsgedächtnis überlastet ist. Im Kapitel zu gehirngerechten Techniken beschreibt er Methoden, um sich mit Hilfe von inneren Listen mehr Informationen merken zu können. Durch mentale Listen, die sozusagen Ablageräume für Informationen bieten, lassen sich neue Informationen ablegen und können schnell wieder abgerufen werden. Dadurch wird das Arbeitsgedächtnis entlastet, da man sich weniger Dinge aktiv merken muss.

Informationsflut ist Einstellungssache

Ein weiterer, wichtiger Aspekt ist die innere Einstellung, die auch im klassischen Zeitmanagement oder Selbstmanagement häufig zu kurz kommt. Muss ich tatsächlich immer erreichbar sein? Brauchen meine Mitarbeiter mich ständig als Ansprechpartner? Bin ich getrieben davon, etwas zu verpassen? Welche Inseln des Abschaltens kann ich mir im Arbeitsalltag verschaffen? Diese Einstellungsfragen sind ein wesentlicher Punkt bei der „Informationsüberflutung“, denn ohne eine selbstbestimmte innere Haltung gegenüber Informationstechnik wird man sehr schnell zum Getriebenen von immer neuen Informationen und erfährt so Stress und Überlastung. Im Kapitel 7 „Übernehmen Sie die Kontrolle in Ihrer Informationswelt“ gibt Bretschneider konkrete Tipps, um eine eigene Einstellung gegenüber den Informationen zu finden, durch Informationsdiät, Stresswahrnehmung und einer Orientierung am eigenen Rhythmus. Diese Punkte sind eine sehr sinnvolle Weiterentwicklung von klassischen Selbst- und Zeitmanagement, das meistens in erster Linie organisatorische Fragen behandelt.

Von Altbierbowle bis Zenmeditation

Altbier oder Meditation? Oder beides zugleich: Pflaumenwein: „Zen“.

Trotz der vielen sinnvollen und auch innovativen Ratschläge wirkt das Buch leider an vielen Stellen etwas lieblos geschrieben. Im Kapitel zu Entspannungstechniken gibt es tatsächlich Tipps von der Altbierbowle bis zu Zenmeditation. Damit wirkt der Text häufig wie eine Aneinanderreihung aus verschiedenen Lifestylemagazinen.

Dieser Eindruck ist auch an anderen Stellen des Buches zu bemerken. Die beschriebenen Techniken bauen nicht so sehr aufeinander auf, sondern wirken wie eine Aneinanderreihung von mehr oder weniger sinnvollen Tipps. Dabei ließen sich einige Punkte mit etwas Recherche sehr sinnvoll verknüpfen. Die Schulung der Aufmerksamkeit lässt sich sowohl über Training des Geistes oder Gedächtnisspielen erhöhen, genauso lässt sich Aufmerksamkeit mit Meditation verbessern. Es ist also nicht egal, ob ich zu Entspannung meditiere oder liebe Altbierbowle trinke, wie es der Text suggeriert. An vielen Stellen hätte eine ein bessere Konzeption dem Buch sehr gut getan, genauso wie eine stringentere Verknüpfung der einzelnen Techniken zum Informationsmanagement.

Fazit: Insgesamt aber ein lesenswertes Buch, vor allem bietet Bretschneider eine Weiterentwicklung von klassischen Zeit- und Selbstmanagement. Die zielgerichtete Entwicklung kognitiver Fähigkeiten ist meiner Ansicht nach ein wichtiger, neuer Aspekt für das Selbst- und Zeitmanagement im digitalen Zeitalter.

Text: Michael Lindner

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