Was machen Schüler mit digitalen Medien? Sie schauen sich beispielsweise Videos auf ihren Smartphones an und snappen auf Snapchat. Aber wie sieht es aus, wenn Jugendliche in Schulen die Aufgabe gestellt bekommen, mit bewegten Bildern eine eigene Story zu erzählen? Wie Lernprozesse mit digitalen Medien in Schulen angestoßen werden können, erzählt uns der Medienberater Tobias Oppenhäuser.
Bevor Sie jetzt das Interview lesen, noch ein kleiner Hinweis: In diesem Interview werden Sie einige Videos entdecken, die sich zum Teil direkt auf die Inhaltes des Interviews beziehen, um einzelne Themen noch mehr zu veranschaulichen, etwa der Infoclip: Der Medienpass NRW, auf der anderen Seite habe ich aber auch solche Videos ergänzt, die zur weiteren Reflexion einladen.
In einem Video erläutert beispielsweise Christian Spannagel, worin die zehn häufigsten Irrtümer zum Einsatz digitaler Medien in der Schule bestehen, oder auch ein bemerkenswerter Videobeitrag mit dem Philosophen Christoph Türcke am Ende dieses Beitrags. Bei diesem Video geht es beispielsweise um das Kulturphänomen der Zerstreuung, das längst nicht mehr nur in der Anwendung von digitalen Medien zu beobachten ist.
Ich denke, dass diese Videos sicherlich für alle Personen interessant sein können, die in der eigenen beruflichen Praxis häufiger mit digitalen Medien zu tun haben, etwa Lehrer, Medienberater, Dozenten, Trainer und Designer.
Lieber Herr Oppenhäuser, beschreiben Sie bitte einmal kurz, was man sich unter dem Beruf eines Medienberaters vorstellen kann? Was macht ein Medienberater, wenn er beispielsweise eine Schule berät?
Als Medienberater wird man in NRW mit einigen Stunden, bis hin zur vollen Stelle, aus dem Lehrerdienst abgeordnet. Angebunden an das kommunale Kompetenzteam (staatliche Lehrerfortbildung) berät man Schulen auf dem weiten Feld der Medienbildung, bietet Fortbildungen an und kooperiert bestenfalls mit dem Schulträger in Ausstattungsfragen. Wenn vorhanden, ist auch das Medienzentrum ein Kooperationspartner.
Beratungsanlass kann zum Beispiel sein, dass die Schule zwei interaktive Tafeln bekommen hat und in die Nutzung eingewiesen werden will. Eine Fortbildung, um Nutzungsszenarien im Unterricht aufzuzeigen, kann das Angebot sein.
Mit der Medienkompetenz verhält es sich wie mit dem Handwerk. Ich muss die Werkzeuge kennen, über die Einsatzszenarien Bescheid wissen und über die Gefahren. Kompetent werde ich dann durch den regelmäßigen konstruktiven Einsatz. – Tobias Oppenhäuser
In diesem Zusammenhang biete ich immer an, mit der Schulleitung auf die Situation der Schule zu schauen und diese mit den Möglichkeiten die das Land NRW zur Unterstützung bereitstellt, abzugleichen. Das Ergebnis eines solchen Gesprächs ist meist die Überarbeitung des Medienkonzepts auf Grundlage des Medienpass NRW.
Das Medienkonzept ist Grundlage zur Ausstattung und Fortbildungsplanung der Schule im Bereich der digitalen Medien. Durch die Verankerung der Weiterentwicklung von Medienkompetenzen im schulinternen Curriculum ist hiermit ein Unterrichtsentwicklungsprozess, im Idealfall sogar ein Schulentwicklungsprozess verbunden.
Während der Beratungen bekommen die Schulen für sie wichtige Informationen, die im Alltag in der Masse an Mails, Flyern und Broschüren häufig untergehen.
Um die Themen Einsatz digitaler Medien und Medienkompetenz in einem Kollegium zu platzieren, bzw. einen Prozess loszutreten, können sich auch pädagogische Tage eignen, an denen Workshops zu verschiedenen Themen angeboten werden.
Der Medienpass NRW
https://www.youtube.com/watch?v=cPAxjCEC7G8
Zu der Medienkompetenzförderung an Schulen gehört auch, die Medienkompetenzförderung in allen Fächern zu integrieren. Können Sie das bitte einmal an einem herausragenden Beispiel aufzeigen?
Das Mittel der Wahl in NRW dafür ist der Medienpass NRW (siehe beigefügtes Video). Dieser schlüsselt die Medienkompetenzen in einem durchgängigen Raster von Klasse eins bis Klasse zehn auf, strukturiert sie und zeigt über den Lehrplankompass NRW den Lehrplanbezug auf. So können Schüler auch ein eigenes Medienprodukt erstellen und verschiedene Gestaltungselemente einsetzen.
Einen Lehrplanbezug gibt es zu vielen Fächern (Arbeitslehre, Deutsch, Englisch, Geschichte…). Wenn bisher in einem Plakat das eigene Praktikum bzw. ein Berufsbild vorgestellt wird, so kann dies auch in Form einer digitalen Präsentation (ppt, key…) oder eines Kurzfilms umgesetzt werden. Die Möglichkeit zur Identifikation der Schüler mit dem häufig professioneller wirkenden digitalen Produkt scheint mir hier größer.
Ich habe von einem Twitterprojekt gelesen, in dem die Schüler die Protagonisten eines klassischen Theaterstücks haben Tweets versenden lassen. Diese Kombination von reflektierter Mediennutzung und Spaß am Unterricht finde ich vorbildlich.
https://www.youtube.com/watch?v=HsXP528OVtU
Häufig wird behauptet, dass viele Schüler heutzutage den Lehrern in der praktischen Nutzung von digitalen Medien überlegen wären, etwa in der Nutzung von Smartphones. Welches Argument würden Sie als Medienberater gegen diese Behauptung setzen? Was bedeutet für Sie „Medienkompetenz“?
Es geht nicht darum, ein solches Argument zu entkräften. Der Antrieb bei Schülern dürfte eher Spaß und Lust, bei Lehrern eher der konkrete und direkte Nutzen sein. Im schulischen Kontext geht es nun darum, den gemeinsamen Mehrwert zu finden.
Wir leben in einer von Bildern geprägten Gesellschaft. Wir sollten das nutzen! Die Fotos auf den Geräten der Schüler können Anlass für eine kritische reflektierte Auseinandersetzung sein. Welche Wirkung hat ein Foto von oben, von unten, aus der Nähe oder der Entfernung, mit verschiedenen Hintergründen und der entsprechenden Hintergrundinformation?
Schüler können Fotos für die Medienprodukte machen, welche im Unterricht erstellt werden sollen. Sie können Dokumentationszwecken dienen oder der künstlerischen Gestaltung. Die vielschichtige Medienkompetenz erwächst aus den vielfältigen Einsatzszenarien. Bei 50 Prozent Selfies mit herausgestreckter Zunge ist die Medienkompetenz natürlich zweifelhaft. Durch ein Handyverbot an der Schule wird diese aber auch nicht größer.
Mit der Medienkompetenz verhält es sich wie mit dem Handwerk. Ich muss die Werkzeuge kennen, über die Einsatzszenarien Bescheid wissen und über die Gefahren. Kompetent werde ich dann durch den regelmäßigen konstruktiven Einsatz. Aus diesem Blickwinkel sehe ich großes Entwicklungspotential bei Schülern und Lehrkräften.
https://www.youtube.com/watch?v=MM2oMou1xtg
Auf dem Weg zu einer digitalen Lernkultur
Wie bereitet man Schulen auf ein Zeitalter vor, in dem digitale Medien eine zunehmend größere Rolle spielen werden: auf dem Weg zur digital-vernetzten Kultur? Wie lautet Ihre Meinung dazu?
Es sind zwei Säulen notwendig, welche im wahrsten Wortsinn stabil sein müssen, um die Schulen bei dieser Aufgabe stützen zu können. Zum einen benötigen Schulen keine bessere, sondern eine gute Ausstattung: fest installierte Projektion (bestenfalls interaktiv), schnelles WLAN und Gerätepools bzw. ein BYOD-Konzept (bring your own device) für jeden Klassenraum. Es bedarf einer gut organisierten Kooperation von Kommunen, Ländern und dem Bund, um diese finanzielle Hürde zu meistern.
Auf kommunaler Seite steht zunächst die Vernetzung, bzw. das kooperative Miteinander von Schulen, Lehrerfortbildung/Medienberatung, Medienzentrum, Stadtverwaltung und der kommunalen Politik, um eine gemeinsame Perspektive zu schaffen. Auf dieser Grundlage kann eine flächendeckende Ausstattung für alle transparent gelingen.
Andererseits brauchen Schulen Beratung, Begleitung und Fortbildung bei der Weiterentwicklung von Unterricht und Schulkultur; insbesondere hinsichtlich der Frage, ob die digitale Gesellschaft „leider vor der Tür warten muss“ oder mit den Schülern herein darf.
Erweitert man den Blickwinkel, stellt man fest, dass die Themen individuelle Förderung, Inklusion und Flüchtlinge eine große Schnittmenge sowohl untereinander, als auch zur Medienbildung haben. Mit dieser Erkenntnis ergeben sich Perspektiven für die Vernetzung und die Finanzierung.
https://www.youtube.com/watch?v=qdKzSq_t8k8
In seinem Buch „Die Schule von morgen“ führt der US-amerikanische Bildungsunternehmer Salman Khan die Idee des „Flipped classroom“ an. Was früher frontal vorgetragen wurde, lernen die Schüler selbstständig online, in ihrem eigenen Tempo, mit so vielen Wiederholungen wie nötig. Im Unterricht wird dann nur das gemacht, was zuvor die Hausaufgaben waren. Ist ein derartiges Modell auch an deutschen Schulen denkbar – etwa in der Ganztagsschule?
Dieses Modell ist mit Sicherheit gut im deutschen Schulsystem umzusetzen. Gerade in der Ganztagsschule lässt es sich aus meiner Sicht zum Beispiel in Lernzeiten integrieren. Ich möchte aber davon abraten, alles auf dieses neue Pferd zu setzen. Es muss darum gehen, solche neuen Unterrichtsmodelle nach und nach zu integrieren. Dabei sollten Vorteile bisheriger Lernformen nicht aufgegeben werden.
Bevor ein solches Unterrichtskonzept umgesetzt werden kann, muss dies den Lehrkräften bekannt gemacht werden und sie brauchen die Chance, Erfahrungen in diesem Bereich zu sammeln: Lernvideoeinsatz im individualisierten Unterricht auf den Tablets der Schule oder den Smartphones der Schüler. Anschließend kann man diesen Teil nach Hause oder in die Lernzeiten verlagern.
Eine intelligente Nutzung von Medien bewahrt die vorhandenen Kompetenzen und ergänzt diese durch neue. Eine vergrößerte Palette an analogen und digitalen Werkzeugen ermöglicht einen individuelleren Unterricht und leistet so einen großen Beitrag auch zum Thema Inklusion. – Tobias Oppenhäuser
Digital-vernetzte Medien sind überall und always on. Auf der Grundlage dieser Entwicklung gibt es immer mehr Unternehmen, die ihren Mitarbeitern orts- und zeitunabhängiges Arbeiten ermöglichen. Wäre eine solche Entwicklung auch im Bildungsbereich denkbar, etwa an Schulen – bis zu einer gewissen Grenze? Wie lautet Ihre Meinung dazu?
Im Sinne der Gerechtigkeit halte ich gar nichts von einer solchen Verlagerung. Die Bedingungen sind in den Familien zu unterschiedlich. Die Armutsquote liegt in Deutschland bei knapp 16 Prozent (www.destatis.de).
Es stellt sich die Frage, ob es zu Hause einen ruhigen Ort zum Lernen gibt, ob familiäre Auseinandersetzungen (zum Beispiel in der Pubertät) ein Lernen ermöglichen, ob es die gleiche Unterstützung in einer zweiköpfigen, wie in der achtköpfigen Familie gibt, ob es Lernvorbilder gibt.
Wenn unser Ziel Chancengleichheit für alle ist, sollte schulische Bildung vor allem in der Schule und weiteren Lernorten (Museen, Archiven, Bibliotheken, Wäldern…) stattfinden.
https://www.youtube.com/watch?v=BBdkhrmRhiM
Unsere Gesellschaft befindet sich aktuell im Zeitalter der digitalen Transformation. Der Umgang mit digitalen Medien und vor allem auch dessen Reflexion sollte daher eigentlich als selbstverständlich betrachtet werden. Warum ist das häufig immer noch nicht der Fall? Warum fühlen sich Ihrer Meinung nach viele Menschen von dieser Entwicklung überfordert, wo doch die Möglichkeiten zur Gestaltung angesichts des Wandels an sich so immens groß sind?
Einem Explodieren der Möglichkeiten steht die „Bewältigung“ des Alltags entgegen, der zum Glück noch immer analog stattfindet. Auch wenn er teils digital organisiert wird.
Nur wer sich intensiver mit der Digitalisierung beschäftigt, hält Schritt. Eltern sind zu einem großen Teil überfordert: „Wie viel..?“, „Wie lange…?“, „Mit wem..?“ und „Warum…?“ Da bleibt nur noch die Bildungseinrichtung Schule, die von allen durchlaufen wird.
Damit greifen wieder die zuvor genannten Bedingungen. Insbesondere die dauernde Begleitung, Beratung und Fortbildung der Schulen und Lehrkräfte ermöglichen im Zusammenspiel mit einer verbesserten Ausstattung eine kompetente Nutzung der Möglichkeiten.
Solange die beiden Säulen „Ausstattung“ und „Fortbildung“ noch nicht stabil die Schulen stützen, wird Digitalität dort keine Selbstverständlichkeit, sondern Ballast sein.
Welche Bedeutung werden digitale Medien in der Zukunft in Bildung und Beruf einnehmen? Wie sieht eine intelligente Nutzung von digitalen Medien in der Zukunft aus?
Digitale Medien sind eine wunderbare Ergänzung zu den vorhandenen Möglichkeiten und Strukturen. Weglügen, wie einige Menschen es gerne täten, können wir sie nicht.
Ich halte auch nichts von einem radikalen Weg, auf dem man zum Beispiel die Handschrift durch das Tippen und in Kürze durch das Diktieren ersetzt.
Eine intelligente Nutzung bewahrt die vorhandenen Kompetenzen und ergänzt diese durch neue. Eine vergrößerte Palette an analogen und digitalen Werkzeugen ermöglicht einen individuelleren Unterricht und leistet so einen großen Beitrag auch zum Thema Inklusion.
Zurzeit braucht es für das Erreichen dieses Ziels eine Menge Aufklärungsarbeit.
Das Interview führte Marcus Klug mit Tobias Oppenhäuser im Rahmen des Buchprojekts „Morgen weiß ich mehr. Intelligenter lernen und arbeiten nach der digitalen Revolution“.
Tobias Oppenhäuser arbeitet als Lehrer und Medienberater. Zu seinen Beratungsschwerpunkten gehört insbesondere die Verankerung von Medienkompetenzen im schulinternen Curriculum.