Früher bekam man Kinder einfach, heute ist das gleich ein Projekt und ich bin da wahrscheinlich keine Ausnahme. Jetzt ist sie endlich da, ich beginne am 11. Februar mit der Elternzeit, werde mich bis August hauptsächlich um meinen kleinen Sohn kümmern.
In meiner neuen Tagesstruktur endet also die Nacht so ungefähr um 5 Uhr, wenn Paul mich mit gezielten und ausdauernden Stupsern darauf aufmerksam macht, dass ich jetzt meinen Vaterpflichten nachkommen soll. Mein neuer Start in den Tag ist dann um Paul herum organisiert. Nachdem ich also ziemlich früh aufgestanden wurde, gibt es Frühstück, dann Spielen, und da der kleine Herr inzwischen wieder müde geworden ist, geht es ab in die naheliegenden Parks für den ersten Vormittagsschlaf.
Gestern war ich wieder in dem kleinen Park für Hundebesitzer, Jogger und Kinderbesitzer unterwegs, der direkt um die Ecke liegt. Erstaunlicherweise sind an einem ganz normalen Morgen in der Woche, auch im Winter, ziemlich viele Menschen im Volksgarten unterwegs. Vor allem sind es die Jogger und Hundebesitzer, ich bin meistens um diese Uhrzeit der einzige Vater, der mit Kind unterwegs ist – bis auf gestern. Eine Hand am Lenker, in der anderen eine Trinkflasche, in Laufleggins und mit Kopfhörer überholte mich ein laufender Vater mit einem nagelneuen Kinderjogger, in dem sein kleine Fratz saß. Kinderjogger sind diese futuristisch-sportlich aussehenden dreirädrigen Kinderwägen, mit denen man ohne Probleme über Waldpfade laufen und wahrscheinlich auch Schotterpisten und Eisflächen bezwingen kann.
Meistens sieht man joggende Väter mit solchen Kinderjoggern, bis jetzt habe ich nur eine Mutter gesehen, die einen solchen Kinderwagen benutzt hat. Die Wägen haben einen technischen-sportlichen Look, der eher Männer anzusprechen scheint. Dieser Vater jedenfalls befand sich definitiv in seiner Workoutroutine. Nachdem er eine Weile ein gleichbleibendes lief, setzte er zu Steigerungsläufen an und wechselte jetzt von einem schon beachtlichen Tempo auf ziemlich schnell. Ich wurde also auf meinem gemächlichen alteuropäischen Spaziergang zweimal überholt, das nächste Mal, als ich ihn sah, machte er wenigstens eine Pause – allerdings nur um sich zu dehnen.
Immer wenn ich solche Väter sehe, bekomme ich ein etwas schlechtes Gewissen zu meiner Elternzeit. Was könnte man nicht alles schönes und sinnvolles in dieser Auszeit machen? Jetzt, wo endlich mal Zeit da ist und der Brotjob mal für längere Zeit in den Hintergrund gerät, was könnte man nicht alles machen? Der laufende Vater sah so aus, als wäre er beim nächsten Kölnmarathon dabei und das mit keiner schlechten Zeit. Bei mir dagegen kommen um die Körpermitte, vor allem seit der Elternzeit, immer neue Jahresringe hinzu. Vermutlich verfolgt er neben dem Sport noch alle möglichen anderen Projekte, besucht mit seinem Sohn eine Eltern-Kinder Musikschule, lernt eine Sprache in der Elternzeit und schreibt ein Buch, während der Sohn auf dem Boden sitzt und brav mit seinen Bauklötzen spielt.
Apropos schreiben, zumindest in diesem Punkt lassen sich meine eher geruhsamen Spaziergänge auf jeden Fall optimieren. Anstatt meinen Kinderwagen mit einem Kaffeehalter auszurüsten, könnte ich doch mindestens ein iPad mitnehmen und die Zeit nutzen, um Mails zu checken oder Artikel für dieses Blog zu schreiben. Mindestens Hörbücher, wenn ich schon die Zeit nicht für sportliche Projekte nutze, meine Liste an Büchern, die ich unbedingt lesen möchte, ist ja lange genug. Ich könnte sehr viel mehr aus meiner Elternzeit rausholen, Eltern sind ja heute gerne „Inhaber eines Familienunternehmens“ und als solche ja Meister und Meisterinnen der Organisation. Also ein bisschen Weiterbildung, Feilen an Strategie und den Fähigkeiten sollte doch auf jeden Fall in diesen Monaten drin sein.
Aber eigentlich bin ich ganz glücklich damit, mit Paul spazieren zu gehen und tatsächlich nur das zu tun. Was wäre denn die Elternzeit, wenn ich genau dasselbe machen würde, wie im Beruf auch. Die tausend Projekte und Dinge würden einfach weitergehen, dank moderner Technik dann eben im Grünen. Und anstatt mich wirklich um meinen Sohn zu kümmern, hätte ich wieder viele, viele Ziele, die ich erreichen wollte und so würde aus meiner Elternzeit schnell eine Projektzeit mit Kinderbetreuung. Am Ende würde ich es auch normal finden, gleichzeitig zu joggen, meinen Sohn zu schieben und mit einem Headset zu telefonieren.
Die Elternzeit ist doch aber deshalb eine besondere Zeit, da man mit staatlicher Unterstützung wirklich mal Zeit bekommt, tatsächlich Vater oder Mutter zu sein und sich wirklich hauptberuflich um das Kind kümmern kann. Und genauso möchte ich die Elternzeit auch angehen und genießen, und werde deshalb bis auf Weiteres nur eine Kaffeebecherhalterung am Kinderwagen haben.