Der Wahlkampf in den Vereinigten Staaten wurde bereits 2008 intensiv im Web 2.0 geführt. Wie sieht der Einsatz sozialer Medien in der deutschen Politik aus? Welche Rolle werden Facebook und Twitter im Wahljahr 2013 spielen und welches Potential hat die Kommunikation im Web 2.0?
Heute spreche ich mit Torsten Bruns über diese Themen. Torsten Bruns, Soziologie- und Germanistikstudent an der Technischen Universität Darmstadt, war von 2007 bis 2011 Internetbeauftragter des SPD Ortsvereins Oldenburg Nord und vor allem für die Kommunikation im Web 2.0 verantwortlich. Mit über 1300 Followern ist der Twitter-Auftritt der SPD Oldenburg Nord einer der erfolgreichsten auf kommunaler Ebene, auch auf Facebook ist Oldenburg Nord einer der ersten aktiven Ortsvereine gewesen. Natürlich ist er auch persönlich im Web 2.0 unterwegs und hilft dabei Facebook- und Twitter-Auftritte zu betreiben.
ML: Hallo Torsten, im Wahlkampf 2013 werden soziale Medien ein großes Thema werden, wie nutzen heute deutsche Politiker das Web 2.0?
TB: Die Nutzung sozialer Medien seitens deutscher Politiker und deutscher Parteien hat sich spätestens mit dem Obama-Wahlkampf massiv verändert. Er diente als Vorlage für den Einsatz des Web 2.0 in der deutschen Politik. Erstmals massiv eingesetzt im Wahlkampf wurde Twitter beispielsweise von Thorsten Schäfer-Gümbel, dem Spitzenkandidaten der hessischen Sozialdemokraten. Zumindest Facebook ist heute aus der politischen Kommunikation nicht mehr wegzudenken, egal ob kurzfristig im Wahlkampf oder als langfristige Kommunikationsplattform. In Deutschland waren im vergangenen Jahr knapp 25 Millionen Nutzer angemeldet. Selbst wenn man davon ausgeht, dass vielleicht fünf dieser 25 Millionen Nutzer doppelte Accounts nutzen, weil sie ihre Passwörter verlegt haben oder weil Firmenaccounts mit extra Nutzernamen erstellt werden, sind das immer noch 25 Prozent der Gesamtbevölkerung.
An einem solch wichtigen Medium kommt keine politische Partei vorbei, wenn sie werben, aber auch mit den Menschen kommunizieren will. Und auch Twitter wird zunehmend von einzelnen Politikern genutzt und das parteiübergreifend.
Der letzte Wahlkampf fand 2009 statt, wie hat sich seitdem Deiner Einschätzung nach die digitale Kommunikation in Wahlkämpfen geändert?
Hier hat sich vor allen Dingen die Erkenntnis auch auf den unteren Ebenen durchgesetzt, dass man das Internet verstärkt im Wahlkampf berücksichtigen sollte, um die Menschen vor Ort anzusprechen. Die Parteien auf kommunaler Ebene nutzen nun Facebook und zum Teil auch Twitter, YouTube oder Google+. Auf bundesweiter Ebene hat sich die Kommunikation über die digitalen Medien dahingehend verändert, dass sie inzwischen eine gewisse Kontinuität auch zwischen den Wahlkämpfen aufweist. Twitter, Facebook, YouTube, usw. werden regelmäßig bedient und neben weiteren Angeboten verstärkt im Wahlkampf genutzt: Bilder werden geteilt, kleine Videos gedreht und veröffentlicht oder zentrale
Abschlussaktionen auch ins Netz übertragen. Die Grünen haben das beispielsweise in den letzten Jahren in fast jedem Wahlkampf unter dem wiederkehrenden Motto “3 Tage wach” durchgeführt. Dort wird 3 Tage am Stück gechattet, getwittert, gefacebookt und telefoniert, während die Kamera alles ins Netz überträgt.
In Deutschland gibt es häufig größere Vorbehalte gegenüber sozialen Medien, welchen Einfluss kann das Web 2.0 generell in der deutschen Öffentlichkeit haben?
Dadurch dass das Web 2.0 zunehmend allgegenwärtig ist, scheinen sich auch politische Themen unter weniger stark politisch Interessierten zu verbreiten. Unter den hunderten Facebook-Freunden befindet sich etwa eine politisch interessierte Person. Früher oder später erscheint dann auch auf meiner Timeline ein Beitrag und gegebenenfalls lese ich ihn durch, obwohl ich eigentlich schon längst nicht mehr wählen gehe, mich für politische Themen nicht interessiere, die Tagesschau bewusst oder unbewusst nicht einschalte und in der Bild-Zeitung nur den Sportteil lese.
„Viele Content-Management-Systeme bieten inzwischen ebenfalls die Kernfunktion eines Weblogs.“
Durch Web 2.0 besteht meines Erachtens – auch wenn man die Chancen nicht überschätzen sollte – die Möglichkeit, dass sich unsere Gesellschaft wieder ein Stück weit stärker politisiert. Das schadet uns nicht, angesichts der ständig sinkenden Wahlbeteiligungen der vergangenen Jahre.
Warum spielen Blogs in der deutschen politischen Kommunikation keine so große Rolle wie etwa in den Vereinigten Staaten?
Aufschluss gibt darüber bereits seit 1997 die Onlinestudie von ARD und ZDF. Lediglich zwei Prozent aller Deutscher nutzen Blogs regelmäßig. Immerhin 36 Prozent nutzen dahingegen private Netzwerke und Communities wie Facebook, Foren oder Ähnliches. Twitter liegt zwar bei einem ähnlichen Wert, allerdings erscheint mir hier der Aufwand deutlich geringer. Ein Berufspolitiker kann auch mal fix aus einer Ausschusssitzung 140 Buchstaben tippen, ein Blogbeitrag ist da schon schwieriger. Hinzu kommt weiterer Aufwand: Ein Blog will gepflegt werden, auch technisch.
Das ist für Twitter nicht notwendig; wenn man mal von dem Einstellen eines Profilbilds, eines Headerbilds und eines Hintergrundbilds absieht. Daneben erscheint mir ein weiterer Grund hierfür ausschlaggebend: Viele Content-Management-Systeme, also die Systeme mit denen der Inhalt von Webseiten verwaltet wird, bieten inzwischen ebenfalls die Kernfunktion eines Weblogs: den Austausch via Kommentare. Bislang wird diese Funktion von vier Bundesparteien eingesetzt: der SPD, den Grünen, der FDP und der Piratenpartei.
Was ist wichtig bei der Nutzung von Sozialen Medien in der Politik?
Wichtig ist vor allen Dingen die Kontinuität. Wenngleich die Menschen natürlich wissen, dass die Parteien gerade im Wahlkampf klassische wie auch die neuen Medien verstärkt nutzen, müssen die eingeführten Kanäle regelmäßig bedient werden. Niemand verlangt, und es würde die meisten Follower, Fans oder wir sie sich plattformabhängig gerade nennen auch nur nerven, dass man außerhalb eines Wahlkampfes zwanzig Mal oder öfter am Tag Beiträge tippt.
„Aber das Web 2.0 kann beispielsweise auch zur Kommunikation von Mitgliederbegehren dienen.“
Dennoch verlangt das Web 2.0 eine gewisse Kontinuität, von der auch die Parteien profitieren, wenn sie ihre Inhalte vermitteln können. Diese Kontinuität sicherzustellen ist vor allen Dingen auf kommunaler Ebene, auf Grund der ehrenamtlichen Struktur, eine besondere Herausforderung. Im Zweifelfall heißt es also lieber einen aktuellen Internetauftritt zu betreiben und sich darauf zu konzentrieren, anstatt auf Twitter, YouTube, Facebook und Google+ versuchen präsent zu sein, damit früher oder später zu scheitern und dann keinen aktuellen Internetauftritt zu haben. Lieber Finger weg als alles bedienen zu wollen.
Twitter und Facebook werden am häufigsten als Kommunikationskanäle für politische Diskussionen genannt. Wo sind die Unterschiede und welche Menschen erreiche ich mit welchem Kanal?
Facebook ist im Gegensatz zu Twitter ein klares Massenmedium. Ich hatte ja bereits die unterschiedliche Nutzeranzahl in Deutschland angesprochen. Mit Facebook erreicht man das breite Volk. Das ist über den kleineren Kanal Twitter nicht möglich. Zugleich verlaufen die meist sehr kurzen Diskussionsstränge hier sehr sachlich: Meiner Erfahrung nach reagieren auf die Äußerungen von Politikern auf Twitter vor allem politisch Interessierte; seien es nun Parteianhänger, deren Befürworter oder Personen, die auch im Alltag Kritik üben, beispielsweise als Mitglieder von sozialen Organisationen.
Ändert sich mit dem Web 2.0 auch der Kommunikationsstil in der Politik?
Nur begrenzt. Wie gesagt, das Web 2.0 wird zwar durchaus wichtiger in der deutschen Politik, dass es allerdings auf den Kommunikationsstil in der Politik abfärbt wage ich stark zu bezweifeln. Natürlich eröffnet das Web 2.0 neue Wege, nämlich dann, wenn man es einsetzt. Terminhinweise oder Ähnliches kann man gezielt über Facebook verbreiten; das wird auch getan und erleichtert es den Parteien durchaus auf solche Termine hinzuweisen. Auf andere Kommunikationswege färbt es aber nur bedingt ab. Im Außenauftritt spielen andere klassische Medien nach wie vor eine wichtige Rolle; als Beispiel hierfür seien nur Flugblätter genannt, die auch durch das Web 2.0 nicht kürzer ausfallen. Zugleich wirkt die Kommunikation über die neuen Medien viel transparenter, weil der Zugang zu diesen angenehmer ist als beispielsweise die Anmeldung zum fünften Newsletter. Auch in der innerparteilichen Kommunikation kann man die neuen Medien einsetzen.
Die Kommunikation kann beispielsweise in Einzelfällen ganz schnell über die Nachrichtenfunktion von Facebook erfolgen. Vorteil dieser ist, dass man bspw. keine E-Mailadressen benötigt. Aber das Web 2.0 kann beispielsweise auch zur Kommunikation von Mitgliederbegehren dienen. Ein Beispiel hierfür ist das Mitgliederbegehren der Sozialdemokraten gegen die Vorratsdatenspeicherung. Das scheiterte zwar letztendlich, aber nie war es so leicht über regionale Grenzen hinweg Werbung für diese zu betreiben.
Das sind bislang aber wie gesagt eher Einzelfälle, die die Kommunikation via Brief, E-Mail oder eben der direkte bei den regelmäßigen Treffen der Parteimitglieder oder –vorstände nicht ersetzt, sondern nur ergänzt.
Hat die Piratenpartei etwas verändert? Spielen Internetthemen nach ihrem schnellen Auf- und Abstieg in der Politik eine größere Rolle?
Rein objektiv gesehen haben Politiker an Gewicht gewonnen, die sich mit dem Internet auseinandersetzen. Das Internet und Politiker, die sich dieses als
Kernthema setzen, werden ernster genommen. Es löst natürlich andere, nämlich die politischen Kernthemen wie die soziale Absicherung, Gerechtigkeitsdebatten oder Ähnliches nicht ab und verdrängt diese auch nicht von ihren Spitzenpositionen. Dennoch: War das Internet früher ein politisches Randthema, hat es heute eine wesentlich bessere Position. Das ist vor allen Dingen auf das Aufschrecken der Parteien durch den zeitweise starken Zuspruch der Piratenpartei zurückzuführen. Gleichzeitig heißt dies aber nicht, dass Politiker ihre Einstellung gegenüber den neuen Medien nun völlig wechseln. Das hielte ich auch für grundsätzlich falsch: Populismus muss man nicht hinterher rennen, man muss aber den Kern der Ursache erkennen und sich dementsprechend dazu klarer positionieren. Oder anders ausgedrückt: transparent seine Meinung mitteilen.
Kann man mit dem Web 2.0 auch komplexe politische Themen transportieren?
Das wage ich zumindest in Teilen zu bezweifeln. Wir hatten ja bereits herausgestellt, dass Blogs in Deutschland eine eher untergeordnete Rolle spielen. Damit ist meines Erachtens schon der Wesentliche Kanal, über den man komplexe politische Themen vermitteln kann, ausgeschlossen, auch wenn hier die Internetauftritte der Parteien durchaus ein Angebot darstellen. Twitter mit seiner Begrenzung auf 140 Zeichen dient dazu nur bedingt. Twitter dient vielmehr der Kommunikation unter politisch Interessierten, die sich sowieso schon mit einem Thema befasst haben. Auch Befürworter eines Politikers oder einer Partei können darüber mobilisiert werden; tiefgreifende Debatten halte ich über diesen Kanal allerdings für weitgehend ausgeschlossen.
„Zugleich sehe ich es aber als Chance an auch auf eben dieser Ebene viel leichter mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen.“
Bleibt einzig Facebook übrig. Meines Erachtens ist die Kommunikation über komplexere Themen durchaus möglich, wenngleich auch hier nur begrenzt, da es leicht zu Shitstorms kommen kann. Sobald ein Politiker oder eine Partei ein sensibleres Thema anspricht, werden diese schnell mit anderen Themen vermischt. Die meisten Diskussionsstränge haben leider auch auf Facebook meist einen unsachlichen Charakter. Sobald sich solch ein Shitstorm entfacht, ist es kaum noch möglich alle Antworten, auch auf durchaus sinnvolle Nachfragen oder sachliche Kritik, zu liefern. Vor allen Dingen wird es dann problematisch, wenn sich Extremisten zu Wort melden. Dann konzentriert sich die Arbeit im Wesentlichen auf die Verwaltung dieser Beiträge, sprich ggf. die Löschung, Sperrung von Nutzern, usw.
Welche Entwicklung wird das Web 2.0 für die politische Diskussion und in Zukunft Diskussionskultur nehmen?
Eine spannende Frage. Das hängt meines Erachtens vor allem von der Entwicklung des Web 2.0 selbst ab. Als Beispiel: Twitter hat es generell relativ schwer in der deutschen Kommunikation. Verändert sich Twitter nicht massiv, werden wir hier wohl keine allzugroßen Veränderungen in den nächsten Jahren auch hinsichtlich der politischen Nutzung erleben. Dementsprechend wird sich die politische Diskussion dort meines Erachtens, zumindest unter den gegenwärtigen Bedingungen, auch nicht mehr weiterentwickeln. Für Facebook gilt das genaue Gegenteil: Die Nutzerzahlen steigen seit Jahren nahezu kontinuierlich an. Das spricht dafür, dass die deutschen Parteien, insbesondere auf der kommunalen Ebene, in Zukunft hier noch stärker präsent sein werden, also politische Debatten sich auf Facebook nicht mehr nur auf die Bundes- oder Landespolitik beziehen, sondern verstärkt auch auf die Kommunalpolitik. Viele dieser Auftritte sind bislang noch reine Werbeplattformen mit wenigen Rückmeldungen wie Kommentaren. Auch das könnte zunehmen und damit leider auch die Gefahr, dass sich die bereits angesprochenen Shitstorms nicht nur auf die Bundes- und Landesauftritte konzentrieren, sondern auch auf die örtlichen, was gerade für die dahintersteckende ehrenamtliche Struktur ein Problem werden könnte. Zugleich sehe ich es aber als Chance an auch auf eben dieser Ebene viel leichter mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen.
Das Interview führte Michael Lindner mit Torsten Bruns