Wissen Sie eigentlich, wie viel Zeit Sie am Tag im Internet verbringen? Der Deutsche verbringt durchschnittlich 80 bis 100 Minuten im Internet, so gängige Schätzungen (Ard-Onlinestudie, bitcom). Und was passiert mit Ihnen, wenn Sie mal offline sind? Was, wenn wenn kein Browserfenster offen ist, wenn Sie auf keine Freundesliste blicken und keine neuen Nachrichten auf Ihrem Smartphone erreichen? Werden Sie unruhig, nervös, unkonzentriert? Dann könnte es sein, dass Sie Ihren Internetkonsum zu wenig steuern und dem Ablenkungspotential des Internets erliegen.
Aber was ist eigentlich wirklich dran an der These, dass Menschen durch Informationstechnik immer zerstreuter, abgelenkter und unkonzentrierter werden? Welches Suchtpotential hat Social Media und welche konkreten Fakten gibt es dazu? Auf der Suche nach Zahlen bin ich auf verschiedene Studien, auch aus der Wirtschaft gestoßen. Eine Studie im Auftrag von harmon.ie kam 2011 zu dem Ergebnis, dass Social Media Unternehmen durch das starke Ablenkungspotential weniger produktiv mache. Laut dieser Studie verbringen über die Hälfte aller Angestellten in den USA ungefähr eine Stunde am Tag mit Social Media. Wenn man das auf Arbeitsstunden umrechnet kommt jährlich auf einen Verlust von 10.375 Dollar pro Angestellten. Die Autoren der Studie meinen, dass gegenüber den Vorteile von Social Media inzwischen die Nachteile durch stärkere Ablenkung überwiegen, hier gibt es eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse.
Für den deutschsprachigen Raum gab es jüngst eine Berechnung des Verbandes der deutschen Internetwirtschaft Eco, demnach beläuft sich der Verlust durch Ablenkungen am Arbeitsplatz auf eine Summe von 500 Millionen Euro – für die Weltwirtschaft. Bei dieser Zahl handelt es sich um eine Hochrechnung, auf einer Tagung in Köln bezifferte Eco den jährliche Verlust durch Ablenkungen auf 12 000 Euro pro Arbeitsplatz. Die wichtigsten Punkte dieser Statistik gibt es auf den Seiten von Presseportal.
Diese Rechenexempel zum Ablenkungscharakter von Social Media sind meiner Meinung nach etwas irreführend. Es sagt wenig aus, wenn man einfach die Zeit ermittelt, die ein Angestellter durchschnittlich am Arbeitsplatz auf Social Media Seiten verbringt, um dann diese vermeintlich unproduktive Zeit zu einer schockierenden Summe von Stunden und Kosten pro Jahr hochzurechnen. Wenig aussagekräftig ist eine solche Rechnung deshalb, da diese Zahl nichts darüber aussagt, wozu eigentlich Social Media Angebote genutzt werden, und ob sie am Arbeitsplatz tatsächlich die Produktivität beeinträchtigten. Nicht jede vermeintlich unproduktive Tätigkeit am Arbeitsplatz ist eine Gefahr für die Effizienz des Unternehmens. Nicht jeder soziale Austausch am Arbeitsplatz, der nicht direkt einem Arbeitsergebnis gilt, ist eben auch eine Gefährdung von Unternehmenszielen. Es kommt auf das Ausmaß an und sozialer Austausch kann eben auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl stärken oder den Austausch zwischen Abteilungen verbessern, was dann wieder dem Unternehmen zugute kommt.
Social Media und neue Zwangsstörungen
Da Ablenkungspotential und problematischer Umgang mit dem Internet und Social Media versteht man eher aus einer psychologischen Perspektive. Larry Rosen, Professor für Psychologie an der California State University hat in einem längeren Artikel einige Ergebnisse seiner Forschung zur Auswirkung neuer Kommunikationstechniken vorgestellt (Rewired: Weapons of Mass Distraction). Nach Rosen werden wir nicht abhängig von Technologie,
sondern sie führen bei manchen Menschen zu einer Art neuer Zwangsstörung. Ähnlich wie bei Patienten, die immer wieder eine Tür schließen müssen oder sich die Hände reinigen müssen, sieht Rosen auch das Phänomen der Internetabhängigkeit. Ständiges checken der E-Mail und sozialer Netzwerkseiten ist laut Rosen eine Art von Zwangsstörung. Die Betroffen müssen immer wieder nachprüfen, welche Kommentare und Nachrichten neu da sind oder welche neuen Updates die Facebookseite braucht. Dieses zwanghafte Verhalten ist nach seinen Untersuchungen stärker bei der jüngeren Generation verbreitet, also der Generation, die nach 1979 geboren wurden.
Ursache für diesen Zwang sind nach Rosen vor allem Ängste, wie etwa die Angst, nicht wahrgenommen zu werden, oder etwas wichtiges zu verpassen. Um diese zu behandeln, schlägt Rosen vor, mehr Abstand zu mobiler Kommunikation zu gewinnen. Es wird nichts schlimmes passieren, wenn man auf Facebook mal nicht ständig erreichbar ist. Eine andere Strategie gegen die Ablenkungen des Social Web, bestünde laut Rosen darin, einen besseren Rhythmus in der Arbeit zu gewinnen und die Konzentrationsfähigkeit zu erhöhen. Regelmäßige Pausen für das Gehirn, regelmäßige Zeiten ohne Social Media, mit Konzentration auf andere Dinge, sind seiner Auffassung nach die beste Kur gegen eine überschäumende Kommunikation, welche die Aufmerksamkeit zerstört. Und für die ganz harten Fälle gibt es dann noch das digitaldetox – ein Technikretreat –, in dem man ohne irgendwelche digitalen Geräte wieder zu sich finden kann.
Text: Michael Lindner