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Weniger Stress durch Digitalisierung

Die Digitalisierung wird von vielen Menschen als Stress empfunden. Mehr Druck, mehr Informationen, Kommunikation und ein schnelleres Tempo werden häufig als unausweichliche Folge der Digitalisierung angesehen. Bei einem genaueren Blick ist aber nicht die Technik das Problem.

Die Digitalisierung gilt als Treiber der Globalisierung und als eine Technik, die Stress auslöst. Nach einer Studie des DGB fühlen sich 60 % der Angestellten, die viel mit digitalen Technik arbeiten erschöpft und ausgebrannt. Ähnliche Studien legen nahe, dass vor allem die Hektik und Geschwindigkeit zunehmen. Auch die BBC kommt in einer Befragung 2016 zu dem Ergebnis, dass 40 % der Angestellte durch die Informationsflut gestresst sind und die Qualität der Arbeit leidet.

Wird es meinen Job in Zukunft noch geben?

Ein weiterer Stressfaktor sind die Veränderungen, die mit der Digitalisierung und globalen Vernetzung entstehen. Wir müssen angeblich um unsere Arbeitsplätze bangen, nach einer vielzitierten Studie aus dem Jahr 2013 sind fast die Hälfte der Arbeitsplätze in den Industriestaaten akut durch Automatisierung gefährdet.

Nicht nur Arbeiter, sondern auch Büroangestellte müssen nach diesen Ergebnissen damit rechnen, über früher oder später entlassen zu werden. Auch wenn diese Zahlen sicher kritisch zu sehen sind und die Frage ist, wie man aktuelle Trends fortschreiben kann, so scheinen sich doch große Veränderungen in der Arbeitswelt anzukündigen. Die Frage wird wahrscheinlich eher lauten, wie Jobs in Zukunft aussehen werden. Dieser Anpassungsdruck führt zu Unsicherheiten und zu Stress. Wir müssen wahrscheinlich damit rechnen, dass Routineaufgaben zunehmend von Computern erledigt werden und die bestehenden Jobs stärker nicht-standardisierte Fähigkeiten erfordern werden. Das ist in Zukunft eine große Herausforderung für die Politik und die Betroffenen!

Schlechte Presse für eine Technik, die eigentlich mit dem Anspruch angetreten ist, die Arbeitswelt positiv zu revolutionieren! Vor etwas mehr als zehn Jahren, im Jahr 2006, skizzierten Holm Friebe und Sascha Lobo mit ihrem Buch Wir nennen es Arbeit ein Leben jenseits der Festanstellung. Anstatt als Angestellter für einen Konzern einer normierten und langweiligen Karriere von 9 to 5 zu fristen, sahen Sie die Zukunft in kreativen Webarbeiten, als Freelancer oder Selbständige, die ihre Aufträge über das Internet erhalten und mit einer digitalen Infrastruktur ihr Geld verdienen.

Das Buch prägte den Begriff Digitale Bohème und bis heute das Bild vom kreativen Webarbeiter. Wir nennen es Arbeit war damals an vielen Stellen seiner Zeit voraus, die neuen Webarbeiter, die hier skizziert wurden, eint vor allem eine Haltung gegenüber klassischen Arbeitsverhältnissen. Es geht bei der digitalen Selbständigkeit, wie Sie Lobo und Friebe verstehen, vor allem um ein selbstbestimmtes Leben und Arbeiten, die den eigenen Interessen und Lebensrhythmen stärker entspricht. Digitale Technik ist ein Mittel für mehr Freiheit und neuen Formen der Arbeit.

Das Freelancer-Modell erobert die Konzerne

Haben wir uns mit der Digitalisierung einfach nur getäuscht? Ist das Bild vom selbständigen und selbstbestimmten Arbeiten nur naiv oder trifft nur auf eine kleine Personengruppe zu? Wir nennen es Arbeit hat die Kategorie der Solo-Selbständigen, die mit Hilfe digitaler Infrastruktur eigenständig arbeiten, bekannter gemacht. Freelancer oder Solo-Selbständige unterscheiden sich von den klassischen Selbständigen dadurch, dass Sie keine Angestellten haben. Laut einer Statistik aus dem Jahr 2011 verdienten ungefähr 2,6 Millionen Menschen in Deutschland ihr Geld als Solo-Selbständige, die Zahlen sind in den letzten Jahren leicht rückläufig.

2006 gingen Friebe und Lobo noch von einer Gegenüberstellung zwischen Festanstellung und den neuen Formen der Selbständigkeit aus, das hat sich heute stark verändert. Vor allem die Flexibilisierung mit digitaler Technik ist inzwischen in den großen Unternehmen angekommen. In einer Rückschau zum Buch beschreibt Tim Farin flexible Arbeitsmodelle großer Unternehmen, die sich an der digitalen Bohème orientieren.

In seinem Artikel Sie nennen es immer noch Arbeit beschreibt der Autor, wie die Digitalisierung auch die Arbeitswelt in Großkonzernen verändert. Vor allem flexible Arbeitsmodelle und ergebnisorientiertes Arbeiten ist bei größeren Konzernen inzwischen keine Seltenheit mehr. Die Präsenzkultur, das heißt, also zu festen Zeiten an einem Ort zu sein, verändert sich hin zu einer flexiblen Arbeitsweise. Viel wichtiger als Zeiten, die gemessen werden, sind die Ergebnisse. Die Arbeitsgruppen organisieren sich zum großen Teil selbst und sorgen dafür, dass die Ergebnisse erzielt werden.

Das sieht nach einer guten Entwicklung aus, das Beste aus beiden Welten. Mehr Flexibilität und die Möglichkeit, Prozesse selbst zu gestalten sind wünschenswert. Warum empfinden also Arbeitnehmer immer wieder die Digitalisierung als Stress oder als Druck?

Digitale Stressoren

Die Forschung zum Stress hat bis heute verschiedene Modelle entwickelt, was Stress ist und wie Stress funktioniert. Zum einen hat Stress etwas mit den Anforderungen zu tun und wie man diese Anforderungen wahrnimmt. Das inzwischen klassische Stressmodell von Yerkes-Dodson geht davon aus, dass Stress von der Menge an Anforderungen zusammenhängt. Diese wirken bis zu einem gewissen Level anspornend und motivierend, wenn die Anforderungen einen bestimmten Grad überschreiten, dann schlägt der gut wirkende Stress in Belastungen um.

Andere Untersuchungen kommen zum Ergebnis, dass vor allem Autonomie entscheidend ist für das Stresserleben. Nach Hacker und Richter ist entscheiden, wie stark die Angestellten ihre Aufgaben mitbestimmen können. Je mehr Autonomie da ist, je mehr die Angestellten die Arbeitsprozesse in der Hand hatten, aber auch je sinnhafter eine Tätigkeit war, desto weniger Stress erlebten die Angestellten am Arbeitsplatz. Das bedeutet eben auch, dass die Digitalisierung und digitale Technik stressig sein können, aber nicht müssen. Es gibt zwar eine größere Geschwindigkeit der Kommunikation, aber entscheidend ist doch, ob diese zur Überforderung führt. Vernetztes Arbeiten ist genauso wenig per se Stress oder nicht, sondern kann je nach Grad der Selbstbestimmung unterschiedlich erlebt werden.

Der Solo-Selbständige kann ein selbstbestimmtes und flexibles Arbeitsleben haben. Genauso kann es aber auch eine sehr stressige Tätigkeit sein, wenn Sie als Solo-Selbständiger jedem Auftrag hinterherlaufen müssen und ihr Arbeitspensum kaum bewältigen können. Sie sind dann wenig selbstbestimmt und haben ein Arbeitspensum, das Sie überfordert.

Flexibilisierung und Informationskultur

Übertragen auf die Gestaltung der Arbeit ergeben sich für mich zwei Folgerungen. Wenn Sie Stress vermeiden wollen mit digitalen Mitteln geht es zum einen darum, den Grad der Selbstbestimmung zu erhöhen. Dazu gibt es bereits Ideen, flexible Zeitmodelle und Arbeitszeitkonten ermöglichen eine Flexibilisierung, welche die Interessen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer berücksichtigt.

Eine andere Möglichkeit, die Gestaltungsspielräume zu vergrößern, besteht in einer ergebnisorientierten Firmenkultur. In manchen Unternehmen werden die Hierarchien abgebaut und die Teams organisieren sich eigenständig. In unserem Buch finden Sie einige Beispiele zu diesen flexiblen Organisationsformen. Auch das funktioniert sicher nicht für alle, bietet aber eine flexiblere und selbstbestimmtere Art der Arbeit.

Die zweite Folge ist für mich eine Informationskultur, die an die digitalen Gegebenheiten angepasst ist. Die Geschwindigkeit und Masse an Informationen, die wir heute verarbeiten müssen, hat sicher zugenommen.

Lynda Gratton beschreibt in Ihrem Buch Job Future – Future Jobs einen Arbeitstag zu Beginn der 1990iger-Jahre. Sie arbeitete damals in einem Unternehmen und die Kommunikation fand in festen Bahnen statt und war viel weniger dicht als heute. Am Morgen wurde die Post bearbeitet, die Geschäftsbriefe wurden diktiert, die typische Zeit, bis man eine Antwort bekam, dauerte es ungefähr vier bis fünf Tage.

Heute dagegen hat die Menge an Nachrichten zugenommen und die Arbeit wird zunehmend fragmentierter durch Kommunikation und Informationsverarbeitung. Auch wenn sich diese Folge der Digitalisierung nicht wegdiskutieren lässt, gibt es auch hier Gestaltungsspielräume.

Einige deutsche Konzerne unterbinden beispielsweise die Mailkommunikation am Abend. Unterschiedliche Maßnahmen, wie auch E-Mail freie Tage, sollen die Informationsflut eindämmen. Das geht sogar so weit, dass Daimler Mails, die im Urlaub geschickt wurden, automatisch löscht. Es gibt also Möglichkeiten zur Gestaltung, vielleicht sind auch neue Kommunikationsformen wie Slack geeignet, die Fragmentierung und Geschwindigkeit des Arbeitsalltags einzudämmen.

Die Digitalisierung verändert viel, zu mehr Stress führt aber vor allem eine unüberlegte Digitalisierung von Arbeitsprozessen. Mehr Stress entsteht, wenn die Aufgaben eine Überforderung darstellen oder in der Arbeit wenig eigene Steuerung möglich ist. Dabei kann die richtige Form der Digitalisierung helfen, Stress zu vermeiden.

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