New Work ‒ Selbstmanagement ‒ Digital Workflow : Beiträge von 2012 bis 2015
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Vom Glück (und Sinn) des Nichtstuns

„Muße. Vom Glück des Nichtstuns“  von Ulrich Schnabel  München: Blessing, 2010 287 S. ISBN: 978-3896674340 19,95

Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsjournalist bei der Zeit und führt uns in seinem Buch in einem anschaulichen Stil durch die Welt der Muße und der Müßigangs. Er stellt die kulturgeschichtliche Bedeutung und Wandlung von Muße dar, zeigt an aktuellen Forschungsergebnissen, welche Bedeutung Muße für das eigene Wohlbefinden hat und wie wir uns selbst „Inseln der Muße“ schaffen können.

Ulrich Schnabel: Wissenschaftsjournalist und Müßiggänger

Schnabel führt direkt ins Thema ein. Wir leben heute in einer zunehmend gehetzten Zeit, in der uns Muße abhanden gekommen scheint. Trotz aller Informations- und Kommunikationstechnologien haben immer mehr Menschen das Gefühl, keine Zeit mehr für das Wesentliche zu haben. Auch Seminare zum Zeitmanagement helfen hier nicht, vermitteln sie häufig eher nur eine weitere Verdichtung von Tätigkeiten, und nicht die Fähigkeit, Zeit zu genießen. Muße muss aber nicht das Gegenteil von Handeln sein, auch während einfacher Tätigkeiten, beim Lesen, Wandern, bei der Gartenarbeit, kann sich ein Gefühl von Muße einstellen. Muße stellt sich nach Schnabel vor allem aber dann ein, wenn wir das Gefühl haben, selbst über unsere Zeit zu verfügen. Eine weitere Voraussetzung ist die Fähigkeit, das Hier und Jetzt voll auszuschöpfen und zu genießen. Das kann aber nur gelingen, wenn wir bewusst auf Handlungsmöglichkeiten oder Ablenkungen verzichten, um uns voll auf den Augenblick einlassen zu können. Dabei kann es eine große Hilfe sein, sich in einer ruhigen und reizarmen Umgebung aufzuhalten.

Mußestunden am Strand

Der Muße stehen aber heute viele Hindernisse im Weg. Die Informationstechniken haben die Tendenz, uns permanent abzulenken und uns ständig dem Stress der Kommunikation auszusetzen. In einem kulturgeschichtlichen Kapitel erklärt Schnabel, wie wir uns historisch zu einer gehetzten Gesellschaft entwickelt haben. Bereits seit der Neuzeit lässt sich eine Entwicklung zur ständigen Beschleunigung feststellen, die ab der Industrialisierung weiter an Geschwindigkeit gewinnt. Diese Beschleunigung betrifft inzwischen alle Lebensbereiche, Arbeit, Beziehungen und selbst die Freizeit erleben viele Menschen als straff organisierte, verdichtete Zeit.

Dabei wäre Muße gerade bei diesen Anforderungen sehr wichtig. Schnabel beschreibt wissenschaftliche Forschungsergebnisse zur Muße, die sich beim näheren Hinsehen keineswegs als unproduktiv erweist. Schlafen oder das klassische Nickerchen sind wichtig  für das Lernen. Ohne ausreichend Schlaf ist man nicht in der Lage, Informationen im Gedächtnis zu verankern und dauerhaft zu behalten. Mit zu wenig Schlaf verlieren wir dagegen die Fähigkeit, Neues zu entdecken und uns weiterzuentwickeln. Auch andere Formen des Nichtstuns und der Muße sind inzwischen wissenschaftlich rehabilitiert. Während wir nichts tun und vielleicht Tagträumen nachhängen, arbeitet unser Gehirn weiter. Das „Gehirn im Leerlauf“ steht also nicht still, sondern organisiert sich unbewusst neu.

Die Entdeckung der Gravitation machte Newton während einer müßigen Stunde im Garten.

Dabei können Probleme gelöst werden, an denen wir lange und verbissen gearbeitet haben. Viele Wissenschaftler und Künstler kennen das Phänomen, dass Lösungen ganz plötzlich in den Momenten kommen, in denen man eigentlich mit etwas Anderem beschäftigt ist. So haben etwa Newton und Gauß wichtige Entdeckungen buchstäblich im Schlaf gemacht. Ähnliches hat die Wissenschaft zur Meditation herausgefunden. Meditieren gilt längst nicht mehr als esoterische „Spinnerei“, sondern inzwischen wissen wir, dass Meditierende ihr Gehirn trainieren. Meditation macht sowohl gelassener, als auch konzentrierter und verbessert die Wahrnehmungsfähigkeit. Darüber hinaus ist Meditieren dazu geeignet, zufriedener und glücklich zu machen.

Wie kommen wir also zu mehr Muße und zu mehr Zeit, in der wir uns selbst bewusster erleben können? Diese Frage ist nach Schnabel nicht ganz einfach zu beantworten, da die permanente Beschleunigung so sehr Teil unserer Kultur geworden ist, dass es uns schwierig fällt, sich davon frei zu machen. Ein wichtiger Punkt ist nach Schnabel der richtige Umgang mit Informationen und Ablenkungen.

In der Muße erleben wir den jetzigen Moment. Die Muße beim Wandern.

Wir sollten (neu) lernen, uns zu konzentrieren und vor allem Informationen selektiv und ausgewählt aufzunehmen. Gegen Ablenkungen helfen auch feste Emailzeiten und digitale Kommunikation auf einige Zeitfenstern am Tag zu beschränken, um danach wieder konzentriert arbeiten zu können. Um aber wirklich Muße erleben zu können, ist es nach Schnabel wichtig, aktiv Zeiten des Nichtstuns und der unstrukturierten Zeit zu schaffen. Muße lässt sich dann erleben, wenn ich mich dem Termindruck und der Schnelligkeit für gewisse Zeit auch aktiv entziehe. Sehr hilfreich dabei ist es, einen Kompass für das Leben zu finden. Was ist mir wirklich wichtig im Leben? An welche Dinge möchte ich mich erinnern, wenn ich auf mein Leben zurückblicke? Mit diesen Fragen kann ich beginnen, mich auf das wirklich Wichtige und Wesentliche zu beschränken und damit die Herrschaft über meine Lebenszeit wieder zurück zu gewinnen.

Fazit

Ein wirklich tolles Buch! Schnabels Verbindung aus Wissenschaftsprosa, Zeitdiagnose und lebenspraktischen Hinweisen liest sich wunderbar und der Leser lernt sehr viel über die Gesellschaft und das Problem, heute Muße zu finden. Seine Diagnose geht weit über das klassische Selbst- und Zeitmanagement hinaus. Er macht deutlich, warum es so schwer ist, Zeit zu finden und wie wir wirklich die Souveränität über unsere Lebenszeit zurückgewinnen können. Anstatt dem hundertsten Aufguss zu Zeitmanagement bräuchten wir viel mehr kluge Bücher wie dieses.

Text: Michael Lindner

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