New Work ‒ Selbstmanagement ‒ Digital Workflow : Beiträge von 2012 bis 2015
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Mit Julia ins Reich der Gehirnforschung_Folge 2

Julia ist 28 Jahre alt. Es geht an dieser Stelle um keine genaue Beschreibung ihrer Person. Der Leser ist anstelle davon dazu aufgefordert, sich ein eigenständiges Bild von ihr zu machen. Nur so viel sei vorweg verraten: Julia verdient ihre Brötchen als freischaffende Journalistin und ist stark an wissenschaftlichen Fragestellungen und deren Vermittlung interessiert. Daneben ist sie künstlerisch orientiert. Die Kunst äußert sich vor allem in ihrer Denkweise: Stets flackern bei ihr bildhafte und assoziative Beziehungen auf, wenn sie zwischen journalistischen und wissenschaftlichen Bezügen vermittelt.

Alles hat mit der Lektüre eines Buches von Jörn Klare begonnen – „Was bin ich wert? Eine Preisermittlung“. Jörn Klare, geboren 1965, schreibt Reportagen und Features, u. a. für den Deutschlandfunk und Die Zeit. Fasziniert an der Lektüre dieses Buches hat Julia insbesondere die feine Ironie und Klarheit, mit der sich Klare der Frage nach dem Wert des Menschen widmet. Genauer: Wie viel ist ein Leben wert? Ein brisantes Gedankenexperiment.

Klare begibt sich in seinem Buch auf eine ausgedehnte Recherchereise ins Reich der Menschenwertsberechner: Neben Politikern und Philosophen, Ärzten und Gesundheitsökonomen kommt auch ein gewisser Gunther von Hagens zu Wort. Von Hagens, dessen Lebenslauf sich beim ersten Blick wie der eines typischen Wissenschaftlers liest – Gelehrsamkeit, Entdeckungen und Erfindungen – und der beim zweiten Blick – wie Julia befand, mit seinen „Köperwelten“ einen eher seltsam befremdlichen und zwiespältigen Eindruck hinterlässt.

Seit 1996 zeigt von Hagens´ Institut für Plastination unter dem Titel „Körperwelten“ öffentliche Ausstellungen plastinierter Körper, die weltweit viel besucht, aber auch immer wieder kontrovers diskutiert worden sind. Mit aller Macht versuchte Julia ihre negative Einstellung gegenüber von Hagens´ einzudämmen und sich stattdessen in journalistischer Manier auf einige wesentliche Beobachtungen zu konzentrieren, die er gegenüber Klare im Interview zu der Frage nach dem Wert des Menschen erwogen hatte. Schließlich kam er u. a. auf das menschliche Gehirn zu sprechen, was Julia besonders hellhörig machte. Auf die Frage, ob er denke, dass der Mensch die Krone der Schöpfung sei, antwortete er: „Nur das Gehirn. Bei allem anderen sind uns Tiere überlegen … Wir sind die eigene Spezies, die sich selbst erkennen kann.“

Die wahnsinnige Dynamik unserer neuronalen Fähigkeiten

„Nur das Gehirn … “ Diese Aussage ließ Julia in den folgenden Tagen nicht mehr los. Unabhängig davon, dass sie keineswegs davon überzeugt war, dass der Mensch die Krone der Schöpfung sei, faszinierte sie schon seit geraumer Zeit die wahnsinnige Dynamik unserer neuronalen Fähigkeiten: Die etwa 100 Milliarden Neuronen unseres Großhirns, die mit jeweils bis zu 10000 anderen Neuronen verbunden sind und dabei ein unüberschaubares Netzwerk bilden, das alles Denken, Fühlen und Handeln hervorbringt.

Bei diesem Gedanken wurde ihr plötzlich klar, dass die Frage nach der außerordentlichen Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns und seiner ungemeinen Lernfähigkeit noch eine andere Fragestellung beinhaltete. Ihre persönliche Recherchereise sollte sie daher in der folgenden Zeit immer tiefer in die Gehirnforschung führen. Dabei befiel sie ein Verdacht. Dieses Gefühl. Es lief ihr eiskalt den Rücken runter. Sie hatte beispielsweise von Studierenden gehört, die sich, um sich konzentrierter auf Prüfungen vorzubereiten, mit neurochemischen Mitteln aufputschten: von Schmerzmitteln, Ginko, Ginseng, Koffein und Alkohol bis hin zu Betablockern, Amphetaminen und Kokain.

In Folge dieses Gedankens beschloss Julia in den kommenden Monaten keine weiteren journalistischen Aufträge mehr anzunehmen und dieser Spur in der Form eines größeren Wissensprojektes nachzugehen. Was heißt „gehirngerechtes Lernen“? Warum ist unser Gehirn bis ins hohe Alter lernfähig, und wie verhält es sich mit dem Optimierungsgedanken? Wo führt uns die Erforschung des Gehirns zu wichtigen lernpsychologischen Erkenntnissen und kreativen Zusammenhängen, und welche Irrtümer und Gefahren sind auf der anderen Seite mit diesen Erkenntnissen verbunden?

Text: Marcus Klug

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