New Work ‒ Selbstmanagement ‒ Digital Workflow : Beiträge von 2012 bis 2015
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Maschinenträume: Weniger Zeit trotz mehr Effizienz

Von ungehinderter Kommunikation, Bildtelefonen und Videokonferenzen träumten schon Technikvisionäre zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die digitale Technik sollte uns einen besseren Arbeitsalltag schenken, mehr Freiräume und  Selbstbestimmung ermöglichen. Trotzdem empfinden viele Menschen den Alltag mit digitaler Technik als hektisch und getrieben, warum erleben wir permanente Zeitknappheit, wenn wir doch heute sehr viel effizienter arbeiten können als früher?

Trotz all dieser neuen Möglichkeiten und Effizienzsteigerungen hat uns aber die digitale Revolution ein Paradox beschert, mit dem wir heute ganz selbstverständlich leben. Von den vielen Visionen und Zukunftsverheißungen sind die Versprechen eines unkomplizierteren und stressfreieren  Arbeitsalltags am wenigsten eingelöst worden. Für die Elite der amerikanischen IT-Branche, für einige Kreative und Medienberufe mag der Arbeitsalltag heute freier und selbstbestimmter sein als vor einigen Jahrzehnten. Die Digitalisierung der Arbeitswelt hat aber für die breite Masse der Angestellten, für Büroarbeiter, Selbständige und generell für Menschen, die mit dem Computer arbeiten, eine ganz andere Wirklichkeit geschaffen.

Wir haben zwar mit dem Internet und dem Computer inzwischen die Technologien, um unsere Arbeitswelt viel menschenfreundlicher zu gestalten, in der Realität sind wir aber von einer Entlastung durch den Computer und einer selbstbestimmten Arbeitswelt heute weit entfernt. Viele Arbeitnehmer empfinden im Gegenteil ihren Alltag heute als stressiger als vor 20 Jahren. Zeitmangel und Hektik sind heute die größten Probleme am Arbeitsplatz und die Zahl der Menschen mit chronischem Zeitmangel und Gefühlen der Überforderung nahm in den letzten Jahren zu.

Die Ambivalenz des technischen Fortschritt

Diese Beobachtung wirft eine Frage auf, die sehr wichtig ist für das Selbstmanagement in einer digitalisierten Arbeitswelt. Wenn es all die wunderbaren Techniken gibt, die uns das Leben sehr viel einfacher machen können, warum kommt dann so wenig von dieser Erleichterung im Alltag an? Wir müssen heute so viel weniger Aufwand betreiben, um an Informationen zu gelangen, der Aufwand für Recherche hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm reduziert. Ähnliche Arbeitserleichterungen gibt es in der Kommunikation über das Internet. Hätten Sie 1995 vorhergesagt, dass in zwanzig Jahren ein Kommunikationsnetzwerk mit über 1 Milliarde Teilnehmern entstehen würde, in dem sich Menschen weltweit vernetzen und kommunizieren können, würde das als abstruse Technikutopie kalifornischer Späthippies abgetan werden (siehe Rifkin 2014). Genauso hätten die Möglichkeiten mobiler Arbeit und Computertechnik die Vorstellungskraft einer Person Mitte der 1990er Jahre wahrscheinlich gesprengt. Dieses Dokument schreibe ich in einem Browserfenster!

Vor zwanzig Jahren saßen Sie vor einem großen Kasten, mussten ein Modem physisch mit einer Telefonbuchse verbinden und konnten dann dabei zusehen, wie sich auf einer Internetseiten aus groben Pixelwolken mühsam ein feineres Bild herausschälte. Heute leben wir aber in dieser Welt mit flexiblen, immer verfügbarer Technik und scheinen dabei nur neue Probleme zu schaffen. Anstatt das Arbeitsleben einfacher und reibungsloser zu gestalten, sind viele Menschen von digitaler Technik überfordert und erleben das Arbeiten am Computer als hektisch Getriebene, die sich  jeden Tag neu mit den vielen Informationsteilchen zurechtfinden müssen.

Dieses Phänomen lässt sich zum Teil mit der ambivalenten Wirkung von Technik erklären. Technologie hat eben nicht nur die Wirkung, Prozesse schneller und effizienter zu gestalten, sondern noch einen weiteren Effekt. Hartmut Rosa ist Zeitsoziologe und forscht zu den Wirkungen der Technik und den Beschleunigungsprozessen, die durch moderne Technik ausgelöst werden. In seinen Studien zu Zeit und Beschleunigung wird dieser Zusammenhang deutlich. Neue Technologien haben neben der Effizienzsteigerung zusätzlich den Effekt der Zeitverdichtung (siehe Rosa 2005). Die Effizienzsteigerung, die mit neuer Technik tatsächlich gegeben ist, geht durch die Verdichtung von Arbeitsprozessen wieder verloren und am Ende wird durch neue Technologie nur noch mehr Zeitnot geschaffen. Wenn wir durch bessere Technologien einfach mehr und mehr Tätigkeiten in denselben Zeiteinheiten erledigen, gehen die Zeitgewinne, die wir durch eine effizientere Technologie gewinnen einfach wieder verloren. Ein paar Beispiele können diesen Effekt gut illustrieren.

Die E-Mail zeigt sehr gut, wie eine Technik, die schnellere Kommunikation möglich macht, zu mehr Arbeit führen kann. Mit einer Mail können Sie sehr einfach und unkompliziert kommunizieren, mit einem Klick ist die Nachricht beim Empfänger und Sie bekommen in der Regel innerhalb einiger Stunden oder eines Tages bereits eine Antwort. Damit ist die E-Mail natürlich dem klassischen Brief weit überlegen und Sie können mit Mails viel schneller und effizienter kommunizieren als in Papierform. Welche Auswirkungen hat diese Geschwindigkeitssteigerung aber auf den Umfang der Kommunikation?

Ein klassischer Geschäftsbrief wurde früher vielleicht in einigen Stunden geschrieben, dafür gab es nur einige Briefe in der Woche. Wenn Sie heute für eine E-Mail zwar nur einige Minuten brauchen, vielleicht für eine formale Mail etwas länger, haben Sie zwar einen deutlichen Zeitvorteil gegenüber dem klassischen Brief. Diese Geschwindigkeitsgewinne gehen dann aber durch die Masse der elektronischen Kommunikation wieder verloren. Sie schreiben schnell fünf Mails am Tag und Sie müssen heute jeden Tag auf so viele Mails reagieren, dass die größere Geschwindigkeit und Effizienz der E-Mail keine Auswirkungen mehr haben, sondern Sie heute unter dem Strich mehr Zeit mit Kommunikation verbringen als vor der Digitalisierung der Büroarbeit. Nach den jüngsten Studien zum Büroalltag ist die tägliche Belastung durch viele E-Mail sehr hoch. Laut einer repräsentativen Befragung des Verbandes Bitkom erhält jeder Arbeitnehmer im Durchschnitt 18 Mails pro Tag, eine Minderheit von 10% muss sogar auf 40 oder Mails am Tag reagieren (Bitkom: Elektronische Kommunikation).

Ein anderes Beispiel für diesen Zusammenhang von Effizienzsteigerung und Erhöhung der Arbeitsbelastung wäre die Recherche verschiedener Inhalte. Auch hier hat natürlich das Internet zu einer starken Vereinfachung und Effizienzsteigerung der Recherche geführt. Sie können in der Wissenschaft oder im Marketing heute mit einigen Mausklicks Ihre gewünschten Ergebnisse bekommen und müssen dafür nicht einmal das Haus verlassen. Können wir uns heute noch vorstellen, wie die Informationsbeschaffung ohne das Internet ausgesehen hat? Entweder mussten Sie lange Bibliothekskataloge wälzen oder Adressen und Kontaktdaten mühsam über Telefonbücher herausbekommen oder bei Adresshändlern einkaufen.

All das können Sie heute natürlich spielend einfach mit dem Internet erledigen, aber hier ergibt sich dann auch wieder das Problem der Arbeitsverdichtung. Ein Vortrag wurde vielleicht früher mit 10 Quellen bestritten, es gab ein Manuskript und die Aufgabe bestand darin, dieses mehr oder weniger lebhaft vorzutragen. Heute halten Sie Präsentationen und Sie kommen an sehr viele Quellen im Internet, aber genau deshalb kann die Arbeit an einer Präsentation aufwendiger werden. Wenn Sie heute eben zwanzig Quellen verwenden oder eine aufwendige Bebilderung Ihrer Präsentation erstellen, wird die Effizienzsteigerung durch das Internet schnell wieder obsolet. Für eine 30 Minütige Präsentation haben Sie dann eine längere Vorbereitsungszeit als für den – medial weniger aufregenden – Vortrag, da Sie einfach mehr Informationen verarbeiten müssen als zu früheren Zeiten.

Die Ambivalenz des Fortschritts zeigt sich genauso bei der Kommunikation in Sozialen Netzwerken. Auch wird der Zeitgewinn durch eine schnelle und unkomplizierte Form der Kommunikation und Vernetzung durch die Menge der Kommunikation schnell wieder aufgehoben. Sie können Soziale Netzwerke tatsächlich dafür nutzen, Beziehungen zu pflegen, Kontakte herzustelle und mit einer größeren Menge an Menschen zu kommunizieren. Und dabei sind Soziale Medien in der Tat eine große Erleichterung, nie war es einfacher, eine Masse an Menschen zu erreichen, ganz egal, ob Sie sich selbst vermarkten, ob Sie politisch Positionen besetzen wollen oder Menschen mit ähnlichen Interessen suchen.

Sie können mit den Sozialen Netzwerken heute auf eine sehr einfach Art Kontakt mit einer Vielzahl von Personen herstellen. Das Internet und die Web 2.0 Anwendungen bedeuten also eine ganz klare Steigerung der Effizienz in der Kommunikation, Sie können mit relativ wenig Aufwand mehr Menschen erreichen als je zuvor. Die Schattenseite liegt hier auch in der Masse der Kommunikation. Wenn Sie Soziale Medien gezielt einsetzen wollen, um sich beispielsweise selbst zu vermarkten, müssen Sie auch einen neuen Kommunikationskanal pflegen. Sie müssen Texte schreiben, Bilder für Beiträge suchen, gegebenenfalls sogar Videos hochladen und das kostet dann am Ende schlicht wieder Zeit und verdichtet Ihren Arbeitsalltag zusätzlich.

 Weiterführende Literatur:

  • Rifkin, Jeremy (2014): Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft: Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus. Frankfurt u.a.: Campus Verlag.
  • Rosa, Hartmut (2005): Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Auflage: 10. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.

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