Morgen weiß ich mehr ‒ Wie Sie in Zukunft intelligenter lernen und arbeiten
Schreibe einen Kommentar

Die soziale Frage der Digitalisierung

Digitale Technik wird die Arbeitswelt der Zukunft stark verändern. Diese Veränderungen haben jetzt schon Folgen für die Gesellschaft, Politik und den Sozialstaat. In einer digitalisierten Arbeitswelt werden wir neu über Verteilung und den Wert der Arbeit nachdenken müssen.

Die Digitalisierung wird gerne in revolutionären Begriffen beschrieben, man spricht von Disruption oder sogar von einer neuen Industrialisierung. Mit dieser Analogie zum 19. Jahrhundert stehen wir vor fundamentalen Wandlungsprozessen: Arbeit, Wissensgewinnung, Energieversorgung und die Gesellschaft werden sich durch neue Technologien stark ändern mit dramatischen Folgen. Nach der positiven Version dieser Vision steuern wir auf eine sorgenfreie Zukunft zu, auf ein selbstbestimmtes Leben, in dem Energie, Informationen, Ernährung und Arbeit im Überfluss vorhanden sein werden. Jeremy Rifkin beschwört gerne eine Null-Grenzkosten-Gesellschaft, in der die Produktivitätszuwächse durch Informationstechnologien eine Harmonie zwischen Arbeit und Muße ermöglichen und die Entwicklung in einer digitalen Utopie kulminiert, in der nur noch die Maschinen die anstrengende Arbeit erledigen.

Wenn wir auf die Entwicklung des letzten Jahrzehnts sehen, dann scheinen wir sehr weit von einer solchen Zukunftsvision entfernt zu sein. Die Digitalisierung hat große Neuerungen gebracht, keine Frage, aber bis jetzt blieb eine gesellschaftliche Transformation aus. Trotz einer penetranten “Menschheitsbeglückungs-Rhetorik” der Technikbranche, insbesondere aus dem Silicon Valley, setzten sich im Gegenteil zwei Trends fort, die in Zukunft zu einer neuen sozialen Frage führen können. Der Trend zur Automatisierung einfacher Tätigkeiten begann bereits in den 1970-er und 80-er Jahren und wird mit der Entwicklung des Internets stärker. Zu dieser Entwicklung kommt der Trend zu mehr Flexibilität und Selbständigkeit in der Arbeitswelt. Auch dieser Trend setzte schon vor dem Internet ein, gewinnt aber in den letzten Jahren eine neue Dynamik.

Diese beiden Trends haben eine sozial und politische Sprengkraft. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Entwicklungen einfach so in einer digitalen Utopie münden, in der wir alle von den Produktivitätszuwächsen der Digitalisierung profitieren, sondern wir werden uns den sozialen und politischen Fragen stellen müssen, die mit der digitalen Entwicklung schärfer werden.

Die neue flexible Arbeitswelt und die Automatisierung haben Schattenseiten, die bereits heute erkennbar sind. Es gibt eine größere Anzahl von neuen Selbständigen und digitalen Tagelöhnern, die Ihre Arbeitskraft auf digitalen Märkten zur Verfügung stellen. Diese Selbständigen haben teilweise ein geringes Einkommen und arbeiten alles andere als selbstbestimmt. Sie sind abhängig von Auftraggebern und verdienen ihr Geld zum Teil mit geringbezahlten digitalen Aufträgen. Auch die Automatisierung hat jetzt schon Konsequenzen. In Zukunft wird sich die Frage stellen, was mit geringqualifizierter Arbeit passiert, wenn immer mehr Tätigkeiten von Maschinen erledigt werden.

Die politische Herausforderung einer flexiblen Arbeitswelt

Die Zahlen in den letzten Jahren zeigen eine Entwicklung hin zur mehr selbständiger Arbeit und einer Zunahme an prekären Arbeitsverhältnissen. Mit dem Aufkommen neuer Märkte für digitale Aufgaben hat, laut einer Studie der Böcklerstiftung, auch die Zahl der Beschäftigten mit geringen Einkommen deutlich zugenommen. Die Gewerkschaften sprechen gerne von digitalen Tagelöhnern, manchmal werden die neuen Arbeitsverhältnisse auch als digitaler Taylorismus bezeichnet. Diese Clickworker verdienen ihr Geld mit einfachen digitalen Aufgaben. Sie beschreiben beispielsweise Produkte, vergeben Schlagworte, beschreiben, was Sie auf einem Bild sehen oder schreiben Kommentare und bewerten Produkte.

Insgesamt ergibt sich für die neue Selbständigkeit ein gemischtes Bild. Es gibt viele neue Solo-Selbständige, die Wissen vermitteln oder verschiedene Dienstleistungen anbieten. Darunter sind viele, die ein gutes Einkommen beziehen, Programmierer oder Designer zum Beispiel. Trotz der Unterschiede wird eine flexiblere, digitale Arbeitswelt soziale Auswirkungen haben. Wir werden in Zukunft mehr prekäre Beschäftigungen haben, mehr Unsicherheiten und auch flexiblere Lebensläufe. Das macht die Digitalisierung zu einer sozialen und politischen Frage.

Während die deutschen Öffentlichkeit mit großer Hysterie Symbolpolitik zur Flüchtlingsfrage diskutiert — ich hielt den Vorschlag für ein Burkaverbot zunächst für eine Meldung aus dem Postillion — stehen wir mit der Digitalisierung bald vor handfesten Gerechtigkeitsfragen. Das Modell der sozialen Absicherung orientiert sich Deutschland immer noch stark an einem klassischen Lebenslauf mit einer stetigen Erwerbsbiographie und dieses Modell wird in Zukunft seltener werden.

Unter dem Titel Arbeit 4.0 berät im Arbeitsministerium eine Gruppe über die Folgen der neuen Selbständigkeit. Eine Hauptschwierigkeit liegt darin, dass die Sozialversicherungen, insbesondere die Rentenversicherung, von einer stetigen Erwerbsbiographie ausgeht. Diejenigen haben eine gute Absicherung im Alter, die lange in die Versicherung eingezahlt haben und am besten 40 Jahre beim selben Arbeitgeber waren, doch diese Lebensläufe werden seltener. Es geht nicht nur um prekäre Beschäftigungen in einer neuen Selbständigkeit, sondern auch um mehr Jobwechsel und unstete Lebensläufe. Die heutige Generation von Absolventen hat meisten befristete Stellen und nicht mehr eine „Normbiographie“ mit wenigen Berufswechseln.

Die am stärksten von der Flexibilisierung betroffene Gruppe sind sicher die neuen Selbständigen. Diese Gruppe verdient ihr Geld in erster Linie mit wissensintensiven Dienstleistungen, das sind beispielsweise Grafiker, Kulturvermittler, Heilberufe, Programmierer, Dozenten und Wissensvermittler, Blogger, Berater oder Designer. Diese heterogene Gruppe ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen und liegt inzwischen bei über 1 300 000 Personen. Das ist ein Anstieg von an die 150 Prozent gegenüber dem Jahr 1996.

Bei dieser Gruppe kommt hinzu, dass sie nicht zum Bild des klassischen Selbständigen passt. Bei Selbständigen denken viele immer noch an klassische Berufe wir Ärzte, Rechtsanwälte oder Apotheker. Bei diesen Berufen sorgt aber meisten eine hohe Einstiegshürde und einen stark reglementierter Markt für ein geringes Risiko und ein hohes Einkommen. Die klassischen freien Berufe sind viel stärker abgesichert und haben bessere Verdienstmöglichkeiten als der austauschbare Digitalarbeiter, der vielleicht noch im globalen Wettbewerb steht.

Eine private Vorsorge ist also für die neuen Selbständigen mit geringem Einkommen häufig schwerer zu leisten. Wir sind auf die neue Arbeitswelt gesellschaftlich nicht vorbereitet, vor allem, wenn es um digitale Formen wie das Crowdworking geht.

Stirbt die einfache Arbeit aus?

Neben einer drohenden Prekarisierung der (digitalen) Wissensarbeit stellt sich eine neue soziale Frage vor allen bei einfachen, geringqualifizierten Arbeiten. Die Digitalisierung schafft neue Jobs und verändert bestehende, aber sie wird eben auch viele Arbeiten komplett überflüssig machen. Vor allem für das Transportwesen bedeutet das einen großen Einschnitt.

Wenn eine Drohne Lieferdienste übernimmt, wenn es automatisch fahrende Lastwagen gibt, dann werden in der Logistik einfach viele Arbeitsplätze wegfallen. Amazon testet bereits Drohnen als Zustellungsmöglichkeit und auch autonom fahrende Lastwagen werden erprobt. Anderen Branchen macht die Digitalisierung jetzt schon zu schaffen. Der Einzelhandel spürt schon länger die Konkurrenz durch Amazon, der stationäre Buchhandel und hält mit neuen Konzepten dagegen und versucht ein einmaliges Einkaufserlebnis zu gestalten. Gerade der Handel könnte als nächstes stark von den Folgen der Digitalisierung betroffen sein. Der klassische Einzelhandel wird zwar nicht verdrängt werden, aber viele Arbeitsplätze könnten einer Rationalisierung zum Opfer fallen, wenn viele Menschen mehr Güter online kaufen.

Genauso können auch einfache Bürotätigkeiten, Datenauswertung und Erfassung von Informationen bald automatisiert werden. Auch diese Entwicklung hat bereits begonnen, in den USA werden Datenauswertungen in Law Firms bereits von Computerprogrammen erledigt. Hier setzte sich ein Trend zur Automatisierung weiter fort, der dazu führen könnte, dass viele Arbeitsplätze in Büros verloren gehen. Für Sacharbeiter oder Steuerberater könnte sich die Frage stellen, welche Tätigkeiten noch in Zukunft von Menschen erledigt werden. Damit stehen wir vor der Frage, was mit viele standardisierbaren Tätigkeiten passiert? Was passiert mit geringqualifizierter Arbeit — und das ist eine brisante Frage.

Die sozialen Fragen der Zukunft

Was sind also die sozialen Frage der Zukunft? Was wird politisch und gesellschaftlich auf der Agenda stehen und wie lassen sich die Auswirkungen einer digitalisierten Arbeitswelt abfedern? Bessere Bildung ist sicher eine zentrale Maßnahme, um die sozialen Auswirkungen der Digitalisierung abzufedern.

Wenn die Arbeit der Zukunft vor allem aus höher qualifizierten Jobs bestehen wird, brauchen wir ein Bildungssystem, das Fort- und Weiterbildungen einfach und flexibel organisiert. Wir brauchen Weiterbildungen, die möglichst unbürokratisch funktionieren und flexibler sind als unsere traditionelles Bildungssystem, das sehr stark einem fixen Bildungsweg folgt. Bessere Bildung kann den Qualifikationsstand anheben und ist auch für neue Formen der Selbständigkeit wichtig.

Der Unterschied zwischen einer prekären Clickworker-Existenz und einem selbständigen Experten, der ein digitales Portfolio hat, kann manchmal nur die richtige Fortbildung sein. Häufig braucht es auch ökonomische Bildung, um sich aus einer schlecht bezahlten, abhängigen Selbständigkeit zu lösen, ein eigenes Profil als Selbständiger zu entwickeln und um zu einem guten Auskommen zu kommen.

Wie man Bildung unbürokratisch organisieren kann, zeigt Kiron Open Education. Die Gründer haben eine Universität für Flüchtende aufgebaut. Das Bildungs-Startup bietet ein Kurssystem aus digitalen und klassischen Angeboten, das sich an Flüchtende und Menschen richtet, die nach Deutschland einwandern und das sehr unbürokratisch und kostenfrei. An eine digitale Sprachausbildung schließt sich ein Kursangebot an, das die Studierende für verschiedene Berufe qualifiziert. Diese Initiative könne ein Vorbild sein für andere Formen der Weiterbildung, die unkomplizierter und flexible Gestaltung des Bildungsangebots zeigt einen Weg, wie neue Formen der Ausbildung funktionieren können.

Die soziale Absicherung sollte sich stärker an die aktuellen Bedürfnisse anpassen. Meiner Ansicht nach ist das Grundproblem unserer sozialen Absicherungssysteme, dass sie eine “Normbiographie” voraussetzen. Man kann eine gute Rente erzielen, wenn man ausreichend verdient, regelmäßig einzahlt und wenn möglich eine 40 jährige ununterbrochene Erwerbsbiographie vorweisen kann.

Nun gibt es diese langen Phasen ununterbrochener Erwerbstätigkeit nicht mehr in dem Maße, wie könnte man das Rentensystem umgestalten? Eine Möglichkeit wäre eine stärker steuerfinanzierte Form der Absicherung. Nach diesem Modell sollen die Renten stärker über Steuern finanziert werden und nicht über Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Ein solcher Wechsel hätte den Vorteil, dass sie die Höhe einer Rente nicht so sehr von einer stetigen Erwerbsbiographie abhängen würde.

Ein radikalerer Vorschlag wäre das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Nach diesem Modell bekommt jede Person ein Grundeinkommen ab dem 18. Lebensjahr, und das ohne Gegenleistungen. Diese Umverteilung soll die soziale Absicherung vollständig reformieren und für mehr Freiheit und Gerechtigkeit sorgen. Die Höhe des Grundeinkommens schwankt, je nach Vorschlag zwischen 500 und 1000 Euro pro Monat.

Dieses Grundeinkommen wird, wie der Name bereits sagt, bedingungslos ausgezahlt. Jede Person bezieht es, ob sie einen Job hat oder nicht und jede Person kann frei über dieses Grundeinkommen verfügen. Finanziert würde es durch Steuern und/oder durch die Streichung der Sozialleistungen. Dieser Vorschlag ist sehr radikal, es finden sich aber Anhänger in allen Parteien, selbst in der CDU. Ob ein BGE in Zukunft umsetzbar wäre, liegt an der genauen Ausgestaltung und an der Akzeptanz dieses Vorschlags. Eine Initiative für ein Bedingungsloses Grundeinkommen in der Schweiz konnte diese Jahr zumindest einen Achtungserfolg feiern, die Abstimmung zeigte aber auch, dass der Vorschlag auf viele Vorbehalte stößt.

Ein letzter Punkt wäre eine stärkere Organisation der neuen Selbständigen und Wissensarbeiter. Eine Organisation der eigenen Interessen fehlt bei selbständigen Wissensarbeitern und Clickworkern fast vollständig. Erste Versuche der Gewerkschaften, die neuen Arbeitsformen besser zu organisieren, scheiterten bis jetzt. Dabei könnte die bessere Organisation der Interessen ein Schlüssel zu einer bessere Absicherung sein, die Writers Guild in den USA machte es vor.

Das ist die Interessenvertretung der Drehbuchautoren und sie hat durchaus einen starken Einfluss, sie bestreikte sogar Hollywood, um die Interessen der Autoren durchzusetzen. Eine starke Interessenvertretung könnte dafür sorgen, dass Mindeststandards durchgesetzt werden, Mindestpreise bei Aufträgen oder eine bessere soziale Absicherung.

Der Druck auf die Politik auf die Gesetzgebung könnte die Chance erhöhen, dass auch die neuen Selbständigen eine angemessene Versorgung und Anerkennung erhalten. Wenn sich etwas bessern soll, dann muss man die eigenen Interessen offensiv vertreten, das wäre meine Forderung an die neuen Selbständige.

Die Digitalisierung wird uns nicht in eine Zukunft katapultieren, in der sich alle Probleme in Wohlgefallen auflösen. Die Verteilungsfragen der Zukunft gehen jetzt los und im Zentrum wird es um die Frage gehen, wer vom Wandel der Arbeitsformen profitiert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert