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Die Transparenzgesellschaft von Byung-Chul Han

„Transparenzgesellschaft“ von Byung-Chul Han –Berlin: Matthes & Seitz, 2013 – 91 Seiten – ISBN: 978-3882215953 – 10,00 €

Transparenz scheint heute ein Allheilmittel zu sein, keine Partei, die nicht mehr Transparenz fordert. Von der politischen Kommunikation, der Vergabe von öffentlichen Aufträgen bis hin zur Wirtschaft und Verwaltungen: mehr Transparenz gilt als das wichtigste Mittel gegen institutionelle Fehlentwicklungen und mangelnden Mitbestimmungsmöglichkeiten. Dabei haben Politiker natürlich auch die Generation im Blick, die mit dem Internet aufgewachsen ist und für die Transparenz inzwischen eine Selbstverständlichkeit geworden ist. Der koreanischstämmige Philosoph Byung-Chul Han geht in seinem Buch „Transparenzgesellschaft“ den gesellschaftlichen Auswirkungen von Transparenz nach.

Han lehrt an der Universität der Künste in Berlin und gilt als einer der öffentlichkeitswirksamen Philosophen im deutschsprachigen Raum. Seine Publikationen drehen sich um gesellschaftliche Themen, spätestens mit dem Buch „Müdigkeitsgesellschaft“ aus dem Jahr 2010 ist Han auch einem breiteren Lesepublikum bekannt geworden. In seinem Buch „Transparenzgesellschaft“ geht es zwar um Transparenz, aber nur sehr indirekt um konkrete gesellschaftlichen Auswirkungen, auch wenn die Gliederung des Buches etwas anderes suggeriert. In insgesamt neun Kapiteln mit Titeln wie „Positivgesellschaft“, „Beschleunigungsgesellschaft“ oder „Pornogesellschaft“ umkreist Han das Phänomen Transparenz auf eine aphoristische Weise. Transparenz ist dabei Stichwort für zum Teil weitschweifige ideengeschichtliche Einlassungen zu dem Thema, mit einem beeindruckenden Horizont an (philosophie)historischem Wissen zu unterschiedlichen Transparenzvorstellungen, deren gesellschaftlicher Relevanz und Auswirkungen.

Foto: Nebeneinkünfte offenlegen 2011 | Campact | Quelle: http://www.flickr.com/photos/campact/

„Kein anderes Schlagwort beherrscht heute den öffentlichen Diskurs so sehr wie die Transparenz.“ Han, Transparenzgesellschaft, S. 5

Den Leser, der eine konkrete Auseinandersetzung mit den aktuellen politischen und gesellschaftlichen  Transparenzvorstellungen in unserer Gesellschaft erwartet, muss das Buch irritieren.

Nur sehr vage geht Han auf die Entwicklung des Internets ein, einige allgemeine Bemerkungen zu den Piraten, laut Han die Partei der Post-Demokratie und fast nichts zu den Themen Datenverwertung und Profilerstellung. Dafür bietet das Buch Ausführungen zu der Transparenzvorstellung Rousseaus, der in seiner unbedingten Befürwortung einer unverstellten, von gesellschaftlichen Hierarchien und Prägungen befreiten Kommunikation, die Transparenzvorstellung heutiger Internetverfechter vorgeprägt hat. Ähnlich abstrakt bleiben die weiteren Überlegungen zum Thema Transparenz, etwa wenn Han ausführt, dass es ein Missverständnis sei, mehr Transparenz bedeute eine bessere Kommunikation. Dagegen vertritt Han die Auffassung, der wirkliche Austausch zwischen Menschen benötige gerade Elemente der Opakheit und fehlenden Durchsichtigkeit.

Welche Transparenzgesellschaft?

Mit seiner aphoristischen Thesenentwicklung ist Hans Buch sowohl unbefriedigend als auch erhellend zugleich. Er entwickelt in seinem Buch kein Argument und lässt die Empirie meistens links liegen, dadurch wird es zu einer Schrift für sowieso Überzeugte. Dabei entwirft Han ein Schreckensbild von Transparenz, sie bedeutet für ihn vor allem Kontrolle und Manipulation. Transparenz äußert sich für Han auch in einer stärkeren Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit, womit sich ein Bogen zu einer heidegger’schen Technologiekritik schließt. Ähnlich wie bei Heidegger ist hier der vollkommen transparente Mensch seiner „wirklichen Menschlichkeit“ entkleidet und „kommuniziert“ nur noch oberflächlich in gesellschaftlich vorgegebenen Kategorien.

Jedes offene und kritische Denken verkommt in Hans Transparenzgesellschaft zur Berechnung, zu einer statistischen Auswertung und bloßen Anwendung bestehender Denkmuster. Damit wird Kreativität im Denken, jede begriffliche Neuschöpfung oder Entdeckung durch vollkommene Transparenz unmöglich. Und so erübrigt sich auch die Frage nach Politik oder gesellschaftlichen Fortschritt. Transparenz ist für Han vor allem ein Mittel zur Reproduktion der bestehenden Verhältnisse.

Das alles liest sich sehr flott und bringt auch Einsichten in Punkte, die im gesellschaftlichen Transparenzdiskurs fehlen, ärgerlich bleibt aber die fehlende Rückbindung an konkrete Phänomene von Transparenz in unserer Gesellschaft. Das Buch „Transparenzgesellschaft“ ist vor allem ein Ritt durch die Ideengeschichte und philosophische Fragen zum Thema Transparenz, das manche interessanten Erkenntnisse eröffnet, bei konkreten Problemen einer transparenter werdenden Gesellschaft den Leser aber stehen lässt.

Manchmal ergibt sich der Eindruck, dass Han nicht so sehr über eine transparenter werdende Gesellschaft schreibt, sondern eher über die Ideologie der Transparenz. Und in diesem Punkt ist das Buch sicher ein wichtiger Beitrag, denn zu Recht stellt sich die Frage, warum Transparenz eigentlich in fast allen gesellschaftlichen Belangen eine so überhöhte Stellung geniesst.

Als Fazit bleibt für mich die Erkenntnis, wie wichtig es ist, Fragen der Technikentwicklung gesellschaftlich zu diskutieren. Gleichzeitig frage ich mich, wie ergiebig eine solche Diskussion sein kann, wenn die Zugänge zu gesellschaftlichen Auswirkungen von Technik so unterschiedlich sind.

Text: Michael Lindner

1 Kommentare

  1. Austin P. Palmer sagt

    Wenn alle Welt mehr Transparenz verspricht, vom vertriebenen Bundespräsidenten Christian Wulff bis zur Piratenpartei, dann ist dem Rezensenten Kritik an der Transparenz erst einmal sehr sympathisch. Dem Karlsruher Philosophen Byung-Chul Han ist sie deshalb ein Gräuel, weil sie in seinen Augen nicht die kritische Auseinandersetzung vorantreibe, sondern Ausleuchtung. Ziel des Transparenzzwangs sei die totale Operationalisierung und Beschleunigung. Einer solchen kapitalismuskritischen Sicht auf die Transparenz mag der Rezensent schon weniger folgen, und wenn Han dann die Erotik der Intransparenz gegen die pornografische Transparenz stellt, der Unschärfe und dem Arkanen huldigt, dann fragt sich Ebbinghaus, ob seine politische Theorie nicht noch affirmativer sei als die der Piraten.

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